Braucht es eine Dirigentin beim Neujahrskonzert?
Heuer war es Franz Welser-Möst, im kommenden Jahr Christian Thielemann: Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ist weltberühmt. Mittlerweile auch dafür, dass es ausschließlich von Männern dirigiert wird. Zeit für eine Wende?
PRO
Als Zeichen der Liebe und für den Frieden wurde das diesjährige Neujahrskonzert angekündigt. Aber könnte das musikalische Großereignis, das von Millionen von Menschen rund um den Globus verfolgt wird, nicht auch ein Zeichen für Gleichberechtigung setzen? Es ist kein Problem, mehrmals dieselben Männer als Dirigenten des Neujahrskonzerts zu engagieren (Riccardo Muti stand bereits sechs Mal am Pult, Franz Welser-Möst drei Mal) – aber eine Frau?
Dass es für diese Aufgabe Erfahrung braucht, steht außer Zweifel. Aber die Tatsache, dass man bis jetzt keine Dirigentin für das Neujahrskonzert finden konnte oder wollte, wirft die Frage auf, ob Frauen überhaupt ausreichend Möglichkeiten geboten werden, diese nötige Erfahrung zu sammeln und die künstlerische Beziehung zum Orchester aufzubauen.
Man muss sich ehrlich überlegen, welche strukturellen Veränderungen es in der Klassik braucht, um Chancengleichheit zu garantieren. Welche Fördermaßnahmen man für junge Dirigentinnen setzen kann. Zu welchen (Abo-)Konzerten man gezielt Frauen einladen kann.
„Wir werden eine Dirigentin haben, wenn die Zeit kommt“, hat Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer kürzlich erklärt. Nur: Die Zeit kommt nicht von allein. Es braucht Menschen, die sich aktiv dafür entscheiden, etwas zu verändern und mit einer Frau am Pult eine längst überfällige Zeitenwende beim Neujahrskonzert herbeizuführen.
Nina Oberbucher ist Medienredakteurin.
CONTRA
Wir werden eine Dirigentin haben, wenn die Zeit kommt“, so Daniel Froschauer, seines Zeichens Vorstand der Wiener Philharmoniker. Und Dirigent Franz Welser-Möst, der eben ein phänomenales Neujahrskonzert geleitet hat, sagt: „Hier kommt es nicht auf das Geschlecht an, sondern auf die Erfahrungen, die man mit dem Orchester gesammelt hat. Das ist eine künstlerische Frage, keine politische.“
Und beide Herren haben recht. Denn das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker ist ein Großereignis, das geschätzt 55 Millionen Menschen in aller Welt sehen und hören. Die Vorbereitungszeit für den Dirigenten/die Dirigentin und das Orchester beträgt in etwa eineinhalb Jahre. Und das betrifft „nur“ das Einstudieren der ausgewählten Werke. Nicht die Proben.
Vor allem aber: Das Orchester und der Maestro oder die Maestra müssen eingespielt sein. Sprich einander blind kennen. Das gegenseitige Erfühlen, wer was zu welchem Zeitpunkt meint, ist das Wichtigste. Und dieses geht nur über eine jahrelange Zusammenarbeit, eine künstlerische Vertrautheit.
Es wäre zu billig plötzlich eine der vielen hochbegabten Dirigentinnen einzuladen. Wie man nämlich scheitern kann, hat 2017 mit Gustavo Dudamel ein Mann (!) bewiesen. Ihn mussten die Wiener Philharmoniker durch das Konzert durchtragen; epochal war die Sache nicht. Das Neujahrskonzert ist nämlich mehr als die Summe seiner Teile. Egal, ob Frau oder ein Mann – hier bedarf es einer gegenseitigen künstlerischen Liebe, die gewachsen sein muss.
Peter Jarolin ist Kulturredakteur des Kurier.
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