Darüber gehen die Ansichten tatsächlich weit auseinander. Dazu muss man freilich noch sagen, dass Armut – egal, welche Kriterien man heranzieht (auch über die kann und soll man streiten) – immer ein relativer Begriff ist. Das heißt, dass es Armut immer geben wird – außer in einer egalitären Gesellschaft. Aber eine solche zu etablieren hat ja bisher eher nicht so rasend gut funktioniert. Wenn also beklagt wird – ein Lieblingsnarrativ der Linken aller Art – dass „die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht“, so unterschlägt das, dass auch die Armen insgesamt immer „reicher“ geworden sind. Und dass die Reichen früherer Zeiten gemessen am Wohlstandsniveau von Ländern wie Österreich vergleichsweise arm ausschauen. Vielleicht hätte Nehammer das auch noch erklären sollen.
Rudolf Mitlöhner ist Innenpolitik-Redakteur
NEIN
Gegen Armut kann gar nicht genug getan werden. In der Medizin kommt ja auch niemand auf die Idee, zu sagen: Wir haben Medikamente gegen die schlimmsten Krankheiten, wir können die Forschung einstellen. Man kann aber darüber reden, was unter Armut zu verstehen ist. Elendsviertel und massenhafte Unterernährung kennen wir in Österreich zum Glück nicht. Aber es gibt eine Armut abseits davon: Wer die Augen nicht verschließt, dem fällt in der Straßenbahn das übergewichtige Mädchen mit den viel zu kleinen Schlapfen auf. Burger sind billig, doch Schuhe sind teuer. Wer in fremde Wohnungen kommt, der sieht mitunter Möbel aus den 70er-Jahren und Schimmelflecken an der Wand. Wer dort wohnt, ist arm.
Ja, Österreich hat ein dichtes Sozialnetz, und ja, es gibt Menschen, die verwenden das staatliche Geld nicht immer so, wie sie sollten – diese Kritik trifft aber immer die Falschen. Umso mehr muss versucht werden, jene zu erreichen, die die Hilfe nicht annehmen (können). Niederschwelligkeit und Treffsicherheit sind ausbaufähig.
Armutsbekämpfung besteht auch nicht nur aus Geldtransfers: Noch mehr Bildungs- und Deutschförderangebote wären wichtig. Diese wirken nachhaltig – hier sei an Kreiskys Bildungsreformen erinnert, die vielen einen sozialen Aufstieg ermöglichten.
Was hingegen niemandem hilft, ist ein stammtischartiger Umgang mit dem Thema, mit dem Politiker nur ihr Profil schärfen wollen. Deren Aufgabe ist es, funktionierende Lösungen zu finden, nicht Schuldige zu suchen. Denn sonst führen wir eine andere Armutsdebatte: jene über Inhaltsarmut in der Politik.
Harald Eggenberger ist Redakteur am Newsdesk
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