"Reaching for the moon": Wo bleiben Österreichs kühne Regierungspläne?

Man möchte derzeit nicht mit dem Kanzler tauschen: Der Job verlangt, wo sich lauter Risse im Staate Österreich auftun, eigentlich radikale Schritte. Doch selbst die leise Sparankündigung Christian Stockers im ORF-„Sommergespräch“ hat das übliche Empörungskonzert ausgelöst. Die Regierung muss es überhören. Natürlich hat Stocker recht, dass Pensionssteigerungen (und Lohnrunden) moderat ausfallen sollen. Wir haben schon jetzt eines der teuersten Sozialsysteme der Welt, aber wenig Bewusstsein, dass unser Wohlleben und das künftiger Generationen auch erarbeitet werden muss.
Wann, wenn nicht jetzt sollte alles respektlos neu gedacht werden? Ist es zum Beispiel völlig abwegig, das Steuersystem so zu ändern, dass jeder Einkommensbezieher vom ersten verdienten Euro an Steuern zahlt, also ein „linear-progressiver Tarif“? Das würde die hohen Steuerstufen beseitigen, die Mehrarbeit nicht attraktiv machen. Parallel dazu braucht es nicht nur eine Vereinheitlichung der bundesländerweise unterschiedlichen Sozialhilfesysteme (damit der Pull-Faktor nach Wien endlich wegfällt), sondern auch eine Angleichung der Anrechnung von Kindern zwischen Erwerbsbevölkerung und Sozialhilfeempfängern. Jetzt bekommt man in der Sozialhilfe viel mehr: schon wieder ein Anreiz zur Nicht-Arbeit.
Und es ist zwar sozial gedacht, die Pensionen gestaffelt – sprich: wie stets in letzter Zeit die unteren Pensionsempfänger deutlicher – anzuheben, aber am Ende ist auch das total leistungshemmend: Warum soll jemand mehr arbeiten, wenn der, der weniger leistet, ohnehin alles vom Staat ausgeglichen bekommt, selbst wenn er/sie keinerlei familiäre Betreuungspflichten hatte?
Müsste man außerdem nicht hinterfragen, warum der heimische Staat aus rund 5.000 Einheiten besteht, also öffentlichen Körperschaften, Verbänden usw. ohne (!) öffentliche Unternehmen, gezählt von der Statistik Austria? Das ist weit mehr als in vergleichbaren Ländern. Erklären Sie mal einem Fremden, warum wir eine verfassungsrechtlich festgeschriebene Kammer-Pflichtmitgliedschaft und (landes-)politiknahe Energieversorger haben, deren Mitarbeiter höhere Pensionen als normale Angestellte haben.
Fragen über Fragen, die auch die Wirtschaftsforscher laut(er) stellen müssten. Oder braucht es noch weitere Weckrufe, wie die aktuelle Inflationsrate von 4,1 Prozent – doppelt so hoch wie in der Eurozone? Diese Regierung muss mutige Reformen wagen in dem Sinne, wie das schon John F. Kennedy 1962 formulierte: „nicht, weil es leicht, sondern weil es schwer ist“. Die USA wollten vor den Russen auf dem Mond zu landen. „Reaching for the moon“, welch kühner Plan. Die Amerikaner waren damals übrigens mehrheitlich dagegen.

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon
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