Österreich, das Retro-Disneyland mit Abzügen

Am Höhepunkt der Corona-Pandemie waren alle überzeugt: So viel wie davor werden wir nie mehr reisen, von „Flugscham“ war die Rede. Alles Geschwätz. Jetzt reisen wir, als müssten wir nicht nur die vergangenen, sondern auch die künftigen Krisen aufholen. Der Tourismus ist eine der wenigen Branchen am schwächelnden Wirtschaftsstandort Österreich mit einem Plus.
Ist es, um zumindest diese zu erhalten, nicht hoch an der Zeit für ein Tourismus-Gesamtkonzept der Bundesregierung?
Internationale Touristen lieben uns als Disneyland mit Retro-Charme. Daher muss mit wertvoller Substanz schonender umgegangen werden. Manches könnte sogar wie in Budapest oder Berlin im alten Stil wiederrichtet werden. Bitte keine Verschandelung mit liebloser Investorenarchitektur, überdimensionalen Dachausbauten, Frittenbuden und Schilderwald an jeder Ecke, und keine weitere Aushöhlung der Ortszentren durch Fachmarktzentren auf der grünen Wiese! Meist bleiben danach an den schönsten Plätzen nur noch Wettbüros, Pizzerien und triste Souvenirshops übrig – die einzigen, die auch sonntags offen haben. Seit Jahrzehnten entsprechen die heimischen Ladenöffnungszeiten nicht mehr annähernd dem internationalen Standard.
Will man Events anziehen, dann wurde schon einiges vermasselt: Über Sanierung oder Neubau des Praterstadions wird seit ewig diskutiert, auf eine zeitgemäße Eventhalle wartet man seit Jahren, und die Stadthalle musste schon für den letzten Eurovision Song Contest mühsam aufgehübscht werden, was aber auch schon wieder zehn Jahre her ist. Internationale Tourneen ziehen daher immer öfter an Österreich vorbei.
Was muss geschehen, damit Touristen nicht nur in Massen in der Salzburger Innenstadt aufschlagen, sonst aber schnell wieder abreisen? Wenn wir schon bei Retro-Charme sind: Könnte man nicht ein attraktives Paket schnüren, damit die Gäste auf Nebenbahnen das ganze Land entschleunigt erkunden können? Damit wäre auch die Urlaubssaison an den heimischen Seen verlängerbar, die sich meist nur auf den Sommer erstreckt, was eine vernünftige Gastronomie verunmöglicht. (Oder wollen hier eh nur die Zweithausbesitzer unter sich bleiben?)
Österreich ist noch immer ein wunderschönes Reiseziel. Aber machen wir uns nichts vor: Niemand kümmert sich um eine vernünftige Raumplanung und um kreative, überregionale Vermarktung. Viele Worte, keine Taten. Immer noch werden Grünflächen hektarweise verbaut (und die hässlichsten Plastikzäune der Welt wuchern überall). Andere Länder sind attraktiver und moderner. Auch die mittel- und osteuropäischen Länder holen massiv auf. Die Egoismen von Orts- und Landeskaisern und tausend Interessenvertretern, die einander im Weg stehen, dürfen nicht einen ernsthaften Plan verhindern.
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