Koalitionsverhandlungen: Wo sind die vernünftigen Kräfte?

Koalitionsverhandlungen: Wo sind die vernünftigen Kräfte?
Die Koalitionsgespräche sind davon geprägt, dass man beim Gegenüber vernünftige Kräfte sucht. Das ist vergebene Liebesmüh.
Martin Gebhart

Martin Gebhart

Als Grünen-Chef Werner Kogler in der Vorwoche für ein Aufleben der im Jänner abgebrochenen Verhandlungen über eine türkis-rot-pinke Regierung das Wort ergriff, appellierte er an die vernünftigen Kräfte in den Parteien. Wobei er damit in erster Linie auf die SPÖ abzielte. Am selben Tag war es dann der rote Bundesparteiobmann Andreas Babler, der auf vernünftige Kräfte in der ÖVP hoffte, falls es tatsächlich neuerlich solche Gespräche geben sollte.

Aber wer und wo sind diese vernünftigen Kräfte? Bei den Gesprächen von ÖVP, SPÖ und Neos wurden immer wieder die Sozialpartner genannt, die am Tisch vertreten waren. Oder man sah in der Wiener SPÖ – allen voran Stadtrat Peter Hanke und die Dritte Nationalratspräsidentin Doris Bures – jene Kraft, die die linken Ideen von Andreas Babler und seinem engsten Umfeld einbremsen kann. Das Ergebnis ist bekannt. Zuerst haben knapp nach dem Jahreswechsel die Neos die Gesprächsrunden verlassen, dann haben auch der damalige ÖVP-Kanzler Karl Nehammer und Andreas Babler am Samstag danach das Handtuch geworfen. Die Sozialpartner spielten da keine Rolle mehr, Doris Bures war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Verhandlungsteam der SPÖ. Die Erwartungen an die Wirtschafts- und Arbeitnehmervertreter waren auch zu hoch gewesen. Der oberste rote Verhandler war als Bundesparteiobmann Andreas Babler. Er hat deshalb logischerweise die Richtung vorgegeben.

Bei den aktuellen blau-türkisen Verhandlungen ist es ähnlich. Auch da waren im Vorfeld die vernünftigen FPÖ-Kräfte aus den Bundesländern, die dort bereits mehr oder weniger reibungsfrei mit der ÖVP koalieren, als Basis für gedeihliche Gespräche ins Rennen geworfen worden. Auch da ist die Rechnung nicht aufgegangen, weil letztlich FPÖ-Chef Herbert Kickl und sein engstes Umfeld entscheiden, wie mit der ÖVP umgegangen wird. Und ihm sitzt seitens der ÖVP in den entscheidenden Runden der geschäftsführende Bundesparteiobmann Christian Stocker gegenüber und nicht jene – für viele FPÖ-Funktionäre vernünftigen – Vertreter aus Industrie und Wirtschaft, die im Vorfeld umtriebig an den guten Kontakten zu den Blauen gearbeitet haben.

Es ist vergebene Liebesmüh, beim jeweiligen Gegenüber an die vernünftigen Kräfte zu appellieren. Am Ende ist die Parteispitze die maßgebliche Person, die über ein Gelingen oder ein Scheitern entscheidet. Derzeit ist das in erster Linie Herbert Kickl, dahinter folgt Christian Stocker. Derzeit zeigen beide mit dem Daumen eher nach unten. Womit wohl nur eine Expertenregierung oder Neuwahlen als mögliche Auswege übrig bleiben. Wobei wohl nur neuerliche Wahlen die Chance bieten, dass bei künftigen Verhandlungen die Parteien von neuen Kräften angeführt werden.

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