Zweite Kassa, bitte!

Person Putting Bananas On Conveyor At Store  Checkout
Im Supermarkt steht die Konsumgesellschaft auf dem Prüfstand: Bei den Kunden liegen die Nerven blank, das Personal klagt über verbale Gewalt.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Die Supermarktkassa ist ein Nadelöhr unserer Zivilisation. Zwischen vollen Einkaufswägen, quengelnden Kleinkindern („Darf ich ein Eis?“), nervigen Schnäppchenjägern („Ist das nicht in Aktion?“) und umständlich nach Kleingeld suchenden Senioren („Nehmen Sie sich’s bitte raus!“) liegen die Nerven blank, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis einer brüllt: „Zweite Kassa, bitte!“ Wobei „BITTE“ in Großbuchstaben geschrieben und mit „Das ist ein Befehl“ übersetzt werden muss.

Handelsangestellte klagen darüber, am Arbeitsplatz zunehmend verbaler Gewalt ausgesetzt zu sein, fast 60 Prozent sind von Kunden schon einmal angebrüllt worden. (Wer noch nie nach einer zweiten Kassa gerufen hat, werfe den ersten Stein.)

Das Supermarktpersonal befindet sich in der höchst ungemütlichen Situation, zwischen zwei konträren Interessen zerrieben zu werden. Auf der einen Seite die Kunden, die ohnedies nur eine halbe Stunde Mittagspause haben und die nur ungern in der Supermarktschlange verbringen wollen. Auf der anderen Seite die Supermarktbetreiber, die mit ihren Personalressourcen geizen und daher nur dann eine zweite Kassa aufmachen, wenn es unbedingt sein muss. (In kleineren Filialen, in denen nur ein oder zwei Angestellte arbeiten, muss man oft sogar nach einer ersten Kassa rufen, weil das Personal gerade anderweitig beschäftigt ist.)

So sind wir nicht

Der Herr Bundespräsident würde sagen: So sind wir nicht. Aber wieso schreit dann trotzdem dauernd einer von uns nach einer zweiten Kassa?

Wahrscheinlich sollten beide Seiten daran arbeiten, die Lage zu beruhigen. Kunden sollten Verständnis für die Kassiererinnen und Kassierer zeigen und ihnen ein Mindestmaß an Respekt entgegenbringen. Gemeint ist damit nicht nur, dass man sie nicht anbrüllen soll, sondern zum Beispiel auch, dass man während des Bezahlvorgangs nicht am Handy telefoniert. Es ist nämlich sehr unhöflich, Dienstleister wie Luft zu behandeln.

Der Handel wiederum muss sich überlegen, was sein Anteil ist an der Verrohung der Sitten vor der Supermarktkassa. Lange Schlangen heben grundsätzlich nicht die Stimmung – noch dazu, wenn es am Ende der Schlange nur darum geht, etwas zu bezahlen. Aber auch gut gelaunte Menschen hinter der Budel können zur Entspannung beitragen. Und wann sind Mitarbeiter gut gelaunt? Genau, wenn das Arbeitsklima stimmt.

Wie angenehm es sein kann, im Supermarkt einzukaufen, können Städter übrigens jederzeit überprüfen. Sie müssen nur die Stadt verlassen und auf dem Land einkaufen gehen. Es gibt auch dort eine zweite Kassa. Aber nie ruft jemand danach.

46-201985754

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