Alarmierend: Beschimpfungen und Hänseleien im Handel nehmen zu

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GPA-Umfrage: Fast jede zweite Handelsangestellte hat schon Gewalt erlebt. Frauen besonders betroffen. Handelsobmann spricht von "Effekthascherei".

Ein Kunde nähert sich dem Ausgang des Supermarktes, sieht einige Menschen an der Kassa angestellt und beginnt zu brüllen: "Zweite Kassa, bitte!" Reagiert das Personal nicht in der Sekunde, legt der Kunde mit Unmutsäußerungen wie "wieder mal völlig überfordert" oder "wie komm i dazu, da so lang anzustehen" nach. 

Für die Handelsangestellten ein tägliches Ärgernis. Laut einer Umfrage der Gewerkschaft GPA unter 1.513 Handelsangestellten und GPA-Mitgliedern  wurden 58,9 Prozent von Kunden selbst schon einmal angeschrien oder eingeschüchtert. Weitere 57,8 Prozent wurden an ihrer Arbeitsstelle schon beschimpft oder beleidigt und 34,6 Prozent waren mit Hänseleien oder Verspottung konfrontiert. "Was uns die Kolleginnen und Kollegen tagtäglich erzählen, ist nicht nur eine Statistik, das ist gelebte Realität", bestätigt Billa-Betriebsrätin Sabine Grossensteiner

Schreien, hänseln, schimpfen

Auch bei den beobachteten Vorfällen liegt Herumschreien (77 Prozent), gefolgt von Beschimpfungen (74,5  Prozent) und Hänseleien (66,6 Prozent) an der Spitze. In Summe hat fast jede/r Zweite (46,7 Prozent) bereits Gewalt am Arbeitsplatz erlebt. 

Anmerkung: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) definiert Gewalt am Arbeitsplatz als „jede Handlung oder jedes Verhalten, das von gesellschaftlich akzeptierten Normen abweicht und im Zusammenhang mit der Arbeit dazu führt, dass eine Person bedroht, beleidigt, psychisch oder physisch verletzt wird.“

Laut Befragung sieht mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) grundsätzlich eine Zunahme von Gewalt in den vergangenen fünf Jahren. Für GPA-Vorsitzende Barbara Teiber ist  das nicht hinnehmbar. "Wer einkaufen geht, hat keine Lizenz, Beschäftigte respektlos zu behandeln. Wer Menschen im Handel anschreit, beleidigt oder bedroht, überschreitet eine Grenze, nicht nur rechtlich, sondern auch menschlich", so Teiber. 

Sexistische Übergriffe

Frauen sind von Grenzüberschreitungen mehr betroffen als Männer. 40 Prozent der Verkäuferinnen sind demnach mit anzüglichen oder diskriminierenden Witzen konfrontiert. Immerhin jede fünfte gibt an, schon einmal verbal sexuell belästigt worden zu sein. 

Arbeitsdruck und Personalmangel als Ursachen

Die Ursachen für die zunehmende Gewalt sehen die Befragten nicht nur im Kundenverhalten, sondern auch im Personalmangel, der zu ständig steigendem Arbeitsdruck führt. Dazu kommt oft ein schlechter Führungsstil wenn es um die Aufarbeitung von Vorfällen geht. 

NR-WAHL: PRÄSENTATION SPÖ WIEN NACH BESCHLUSSFASSUNG DURCH GREMIEN "WIENER KANDIDATINNENLISTE" -TEIBER

GPA-Vorsitzende Barbara Teiber

Die Gewerkschaft ortet eine "Dauerbelastung" von einem erheblichen Teil der Beschäftigten. Zugleich berichten viele, dass sie sich nicht respektiert und nicht gehört fühlen. Ein Drittel gibt an, Probleme nicht offen ansprechen zu können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Besser ist die Situation in Handelsbetrieben mit Betriebsräten, wo es etwa betriebliche Richtlinien zur Gewaltprävention gibt. 

Alarmierend: 23,7 Prozent der Befragten haben aufgrund von Gewalterfahrung bereits ernsthaft in Erwägung gezogen, den Beruf zu wechseln. 

GPA fordert mehr Prävention und Hilfe

Um Handelsangestellte besser vor Gewalt zu schützen, fordert die GPA unter anderen ein Recht auf Supervision, eine Mindestbesetzung in den Filialen sowie die Einrichtung eines Gewaltschutzbeauftragten ab 20 Beschäftigten.  Vorfälle müssten innerhalb einer Woche aufgearbeitet werden. Es brauche schnelle psychologische Hilfe zur Verarbeitung der Erlebnisse, so Teiber. Was die Mindestbesetzung anbelangt, so verweist Teiber darauf, dass die Angestellten oft gar keine Chance hätten, die Situation etwa an der Kassa zu entschärfen, weil ihnen schlicht das Personal dazu fehlt. 

Auch bei der räumlichen Gestaltung der Geschäfte müsse darauf geachtet werden, dass die Beschäftigten geschützt seien. So würden enge Gänge oder zu kleine Kassabereiche Konsumenten ungewollt in Stresssituationen bringen. 

WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik im Gespräch

WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik

Handelsobmann: "Generalisierung von Einzelfällen"

Handelsobmann Rainer Trefelik wehrt sich gegen eine "Generalisierung von Einzelfällen" und wirft der Gewerkschaft "Effekthascherei" vor. Die Umfrage bilde die Realität im Handel keineswegs ab, die Zufriedenheit der Beschäftigten sind gemäß anderer Umfragen sehr hoch.  

Trefelik verweist auf die Studie „Attraktivität des Einzelhandels als Arbeitgeber“, die das Institut für Handel, Absatz und Marketing an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz im Auftrag der Bundessparte Handel erstellte. Dieser zufolge bezeichnen 79 Prozent der insgesamt mehr als 1.000 befragten Einzelhandelsmitarbeiter/innen ihre Tätigkeit im Einzelhandel als attraktiv und 81 Prozent bewerten den jeweiligen Arbeitgeber sehr positiv.

Gesamtgesellschaftlicher Diskurs

Statt auf Handelsbetriebe loszugehen, fordert Trefelik einen "gesamtgesellschaftlichen Diskurs, wie wir mit der zunehmenden Gereiztheit der Menschen umgehen. "Wenn drei Kunden vor der Kassa stehen, wird schon nach einer weiteren gerufen, die Leute würden am liebsten gleich durchmarschieren". 

Die Forderung nach einem Mindestbesetzung in den Filialen hält er für völlig praxisfern. Wenn es zu wenig Personal gäbe, sei dies den hohen Personalkosten geschuldet. Die Kassakraft müsse auch leistbar sein.  

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