Der Schmarrn vom „tiefen Staat“

Was hat Christian Pilnaceks Tod mit der Pandemie zu tun?
Eine ganze Menge, so findet zumindest die FPÖ und beantragt einen Untersuchungsausschuss, gleichzeitig zu beiden Themen.
Das Unterfangen ist gewagt. Im Idealfall untersuchen U-Ausschüsse ja einen „abgeschlossenen Vorgang der Bundesverwaltung“. So steht’s in der Verfassung, so wäre es sinnvoll. Im vorliegenden Fall hieße das: Man untersucht entweder alle Amtshandlungen in der Causa Pilnacek oder man sucht nach Fehlentscheidungen in der Pandemie, auf dass die Verwaltung etwas daraus lernen kann.
Genau das will die FPÖ aber nicht. In ihrem Antrag setzt sie eine „abgestimmte, politisch motivierte Einflussnahme“ der ÖVP voraus – in der ganzen Regierung. Pilnacek, die Pandemie, egal was: Die ÖVP kontrolliert alles mit ihrem „Deep State“, einem Staat im Staat.
Der Vorwurf ist monströs. Doch wie die meisten Verallgemeinerungen trifft er die Sache nicht wirklich.
Ist die ÖVP eine machtbewusste Partei? Natürlich ist sie das. Verfügt sie in Ministerien und Landesregierungen über personelle Verbindungen, die ihr Know-how und Einfluss sichern? Auch das darf getrost bejaht werden.
Doch die FPÖ behauptet viel mehr: Sie spricht von einem geheimen System, das Gewaltenteilung und demokratische Grundregeln weitgehend außer Kraft setzt. Und abgesehen davon, dass vornehmlich Rechtsradikale und irrlichternde Verschwörungstheoretiker mit dem Begriff des „Deep State“ um sich werfen, ignoriert dieser die Arbeit einer wesentlichen Instanz: der Justiz.
Bis vor wenigen Wochen wurde das Justizressort von einer Grünen geführt. Und auch wenn man Alma Zadić manches vorwerfen kann: Dass sie oder ihre Mitarbeiter die ÖVP sonderlich geschont hätten, ist nachweislich ein Schmarrn.
Jahrelang wurde gegen wichtige ÖVP-Politiker ermittelt; am Montag muss Sebastian Kurz vor Gericht, er kämpft gegen eine Verurteilung; und vor wenigen Tagen wurde gegen ÖVP-Klubchef August Wöginger Anklage erhoben.
Ein „tiefer Staat“, der seine wichtigsten Repräsentanten nicht vor Strafverfolgung schützen kann? Nun ja.
In dieser Gemengelage haben bis auf die FPÖ alle Parlamentsparteien Skrupel, den blauen Ausschuss-Antrag überhaupt zu genehmigen. Die endgültige Entscheidung könnte am Ende beim Verfassungsgerichtshof liegen.
Für die FPÖ ist die Situation so oder so ein kleiner Sieg. Sollten sich die anderen Parteien oder der VfGH für den blauen Antrag aussprechen, wird damit die Arbeitshypothese des „tiefen Staates“ gestützt. Und selbst wenn der VfGH den U-Ausschuss letztlich ablehnt, ist für Unbeirrbare ziemlich klar, wie man die Sache erklären kann: Der „Staat im Staat“ hat wieder einmal zugeschlagen.
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