Der heilige Florian der Reformen

Haben Sie schon einmal von der Stadt Jinan gehört? Oder Chennai? Die eine liegt in China, die andere in Indien, beide haben etwa so viele Einwohner wie Österreich Bürger hat. Das sei nur erwähnt, weil es offenbar einigen schwerfällt, zu verstehen, in welcher globalen Situation wir uns befinden.
Österreich ist nach Einwohnern der hundertzweitgrößte Staat der Welt, wir haben keine relevanten Rohstoffe, ein Bildungssystem, das in die Jahre gekommen ist, und streiten grad darüber, welche Krankenversicherung die Blinddarm-Operation in welchem Krankenhaus wie bezahlt. Dieses Klein-Klein ist weder besonders gescheit, noch trägt es dazu bei, das Land zukunftsfit zu machen und für den erhofften Aufschwung zu sorgen. Wir nehmen derzeit nicht einmal Fahrt auf. Um bei der Bildsprache zu bleiben: Wir haben vielmehr zahlreiche Schlaglöcher gegraben, damit nach jedem Zwischengas wieder ein wenig gebremst werden muss. Kurzum: Es ist offensichtlich, dass die Schlaglöcher raschestmöglich geglättet und dem Fahrwerk und Getriebe ausreichend Schmiermittel verabreicht werden müssen.
Also: Strukturreform, Staatsreform, Föderalismusreform, egal wie man das nennt, sind bei einer Staatsquote von 56,3 Prozent inzwischen alternativlos. 56,3 Prozent bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes durch staatliche Ausgaben beansprucht wird, was nahezu jeglichen Handlungsspielraum nimmt. Und natürlich auch: Pensionsreform und Gesundheitsreform – diesmal vielleicht eine echte, nicht so einen „Marketing-Schmäh“ (© Hartinger-Klein) wie 2018.
„Die Lage ist ernst“, sagt Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer. Mahrer mag für manche nicht der glaubwürdigste Ankläger sein, schließlich gab es kein Kabinett in den vergangenen 40 Jahren, in denen keine Vertreter des Wirtschaftsbundes tätig waren und nur wenige Wirtschaftsminister, die nicht von dort kamen (Mahrer ist Präsident des Wirtschaftsbundes). Recht hat er trotzdem.
Keine dieser Feststellungen ist neu oder überraschend. Warum aber passiert nichts, warum bleibt es immer nur beim Problemaufriss? Weil Reformen wehtun und schmerzen, sonst wären es keine. Und die Lage ist offenbar noch immer – im dritten Jahr einer sich ganz zaghaft aufhellenden Rezession – nicht schwierig genug, dass wir wirklich Großes wagen. Zu heikel die Sache mit dem Rücksichtl und Vorsichtl, zu laut die Gebete allerorts an den Schutzpatron der Feuerwehr: „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!“
Das Gute ist: Noch können wir die Veränderung selbst bestimmen. Dafür brauchen unsere Regierenden nur ein Ziel, eine Strategie und den nötigen Mut. Denn wenn alles erst einmal brennt, können wir nur mehr reagieren.
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