Bidens Versuch ist es wert

FILE PHOTO: U.S. President Biden visits Israel amid the ongoing conflict between Israel and Hamas
Der US-Präsident wagt einen Balanceakt, der den Nahen Osten vor einer großen Katastrophe bewahren soll.
Ingrid Steiner-Gashi

Ingrid Steiner-Gashi

Ein Pogrom, dem in Israel 1.400 Menschen zum Opfer fielen. Vergeltungsschläge, bei denen bisher fast 4.000 Palästinenser umkamen. Not, Todesangst und Hunger quälen mehr als zwei Millionen Menschen in Gaza und unter ihnen fast 200 israelische Geiseln. Und es könnte noch schlimmer kommen. Wenn israelische Elitekämpfer, gefolgt von einer Armada von Panzern in Gaza einrücken, um die Terroristen der Hamas auszuschalten. Wenn zahllose Zivilisten umkommen – und vor allem, wenn sich Israels Todfeinde in der Region verbünden und gemeinsam zuschlagen. Ein Krieg von verheerender Dimension wäre die unausweichliche Folge.

Wenn es hoffentlich nicht so weit kommen sollte, hätte ein Mann dabei entscheidenden Anteil: Der US-Präsident. Genau, jener 80-jährige Joe Biden, über dessen unübersehbare Tattrigkeit zuweilen gelästert wird. Jener greise Mann im Weißen Haus, dessen Hoppalas selbst die Anhänger in seiner eigenen Demokratischen Partei laut zweifeln lassen: Er soll nächstes Jahr noch einmal bei der Wahl kandidieren?

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Und doch war es der weltpolitisch erfahrene Biden, der sofort erkannte, welche Gefahr darin liegt, wenn sich Israel bei seiner – mehr als berechtigten – Bodenoffensive ohne Rücksicht auf Verluste von Rache und Zorn und allein dem Wunsch nach Vergeltung leiten lässt. Amerikas Verbündeter wird alle nötige Unterstützung aus Washington bekommen, versprach Biden – und mahnte doch Zurückhaltung ein. Gleichzeitig ließ er die alte, zuletzt verblasste Kraft des Weltpolizisten Amerika aufblitzen: Zwei US-Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer sollen alle Milizen, Terroristen und Staaten wie den Iran abschrecken, die meinen, sich jetzt in den finalen Kampf zur "Vernichtung Israels" werfen zu müssen. Das könnte schnell, so vermittelt es die Drohkulisse der zwei Kolosse auf dem Meer, in der Vernichtung der Angreifer enden.

Andererseits war es auch das Drängen des US-Präsidenten, einen humanitären Korridor nach Gaza zu öffnen. Dieses Drängen kommt spät – für die Palästinenser im gesamten Nahen Osten. Sehr lange haben die USA die Region vernachlässigt. Haben agiert, als seien die völkerrechtlich illegalen Siedlungen im Westjordanland und die katastrophalen Zustände in Gaza egal, solange sich nur Israel mehr mit Saudi-Arabien anfreundet.

Mit dieser Nonchalance ist jetzt Schluss. Stattdessen wagt Biden jetzt einen Balanceakt, der den Nahen Osten vor einer großen Katastrophe bewahren soll. Einen Kraftakt, wenn er denn gelingt, nicht ohne Eigennutz. Amerikas Dominanz in der Region wäre wieder gestärkt – und Biden selbst könnte sich seinen Wählern nächstes Jahr als höchst energetischer Mann der Tat präsentieren.

Bidens Versuch ist es wert

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