Vom Hass zum Mut: Die wahre Stärke der Fußball-EM der Frauen

"Be Brave" – Diese Worte zieren den Hals der Schweizer Nationalspielerin Alisha Lehmann. Sie sind als Mantra für Frauen und queere Personen weltweit zu verstehen, denn mutig müssen diese im Fußball sein. Über 90 Prozent der befragten Frauen geben in einer englischen Studie an, mit sexistisch motiviertem Hass im Netz in Zusammenhang mit Frauenfußball konfrontiert worden zu sein. Schon junge Spielerinnen müssen lernen, mit frauen- und queerfeindlichen Social-Media-Kommentaren umzugehen. Auch Trainerinnen, Schiedsrichterinnen, Funktionärinnen, Kommentatorinnen und Fans wissen, wie es sich anfühlt, für seine Liebe zum Sport angefeindet zu werden. Die EM in der Schweiz zeigt, wie schön Fußball sein kann, wenn Frauen mutig und solidarisch gegeneinander antreten.
Während die erfolgreichste Frauen-EM aller Zeiten attraktive Spiele, volle Stadien und Social-Media-Begleitung wie noch nie zeigt, steigt der Hass auf Frauen und queere Menschen in der Gesellschaft. Trans Personen erhalten in den USA lebensnotwendige Medikamente nicht mehr. Maskulinisten erzählen jungen Mädchen, dass sie keinen Job, sondern einen „echten Mann“ brauchen. Anti-Feminismus und Queerfeindlichkeit sind die Schilder, die Rechte und Rechtsextreme vor sich hertragen.

Clar* Gallistl
Männerfußball
Der Kulturkampf ist auch im Fußball spürbar. FIFA-Präsident Infantino outet sich wenig überraschend als Trump-Fan. Menschenrechte scheinen in der Kultur des organisierten Männerfußballs schon länger in den Hintergrund zu treten. Hauptsache, der Betrag stimmt. Große Rebellion männlicher Fußballer bleibt aus. Da kann man auch schon mal dafür sein, dass ein Mann, der wegen häuslicher Gewalt verurteilt ist, den Nachwuchs eines österreichischen Bundesligaklubs trainiert. Männerfußball verliert seine Glaubwürdigkeit.
Frauenfußball zeigt eine sympathischere Seite des Sports. Jede fünfte Spielerin dieser EM lebt offen lesbisch oder bisexuell. Einige Spielerinnen sind miteinander in Beziehungen oder verheiratet. Stars wie Aitana Bonmati äußern sich öffentlich zu Themen wie der Situation von Geflüchteten und üben Kritik an der eigenen Organisation. Fairness muss nicht breit plakatiert werden. Es liegt in der DNA des Frauenfußballs, leidenschaftlich, professionell und fair gegeneinander anzutreten. Während die FIFA den Männern jedes Symbol, das auf die Rechte von LGBTIQ-Personen hinweist, verboten hat, laufen Frauen selbstverständlich mit Regenbogen-Armbinde auf und küssen ihre Partnerinnen nach dem Spiel. In dieser Bubble sehen wir familienfreundliche Fan-Erlebnisse, respektvollen und liebevollen Umgang zwischen Spielerinnen wie Fans. Wir spüren eine Kultur des Miteinanders, die eigentlich auch im Männerfußball als Ziel ausgewiesen wird.
Weit verbreitet ist der Fehlschluss, dass Frauenfußball nicht sichtbar ist, weil er nicht erfolgreich ist. Dabei ist es genau umgekehrt. Dort, wo er sichtbar ist, wird er erfolgreich. In immer kürzeren Abständen werden international neue Bestmarken gesetzt. Zuletzt gelang in England der erste Millionen-Transfer. Frauenfußball ist, wie Viktoria Schnaderbeck sagt, „einfach eine schöne Community“.
Strategische Inkompetenz
Auch in Österreich stehen viele Männer in Verantwortungspositionen nicht klar auf der Seite der Frauen. Journalisten, die männliche Begriffe für Frauen verwenden, Verbandschefs, die „Sieger“ auf den Pokal des Frauen-Cups gravieren lassen, Marketing-Verantwortliche, die es nicht schaffen, Torfrau Manuela Zinsberger bei ihrem ersten Spiel in Wien nach ihrem Champions-League-Sieg gebührlich und vor ausverkauftem Haus zu feiern. Der grundlegende Sexismus, den Frauen und queere Menschen in Fußball-Österreich erleben müssen, ist frustrierend. Es sind die immer selben Diskussionen, Vorurteile und Mobbing-Dynamiken. Das sind Ergebnisse der „Infantinosierung“ der österreichischen Fußballwelt. Es ist keine echte Inkompetenz, sondern eine, die strategisch gegen Frauen und queere Menschen im Fußball eingesetzt wird.
„Je mehr sie sich aufregen, desto mehr Lippenstift trage ich auf“ reagiert Alisha Lehmann auf misogyne Herabwürdigungen und Hass. Sie spielt für Juventus Turin und hat 17 Millionen Follower:innen auf Instagram. Mit ihrer Einstellung ist sie ein Vorbild für Frauen und queere Menschen auch im österreichischen Fußball. Ich hoffe, dass es bald keinen Mut mehr dafür braucht, wenn Frauen ihre Fußballleidenschaft leben. Damit das gelingt, müssen Männer in Verantwortungspositionen ihre strategische Inkompetenz ablegen und zeigen, dass sie engagiert und professionell arbeiten – auch für Frauen und queere Menschen. Um den deutschen Journalisten Max-Jacob Ost zu zitieren: „Wer die Sportwashing-WM statt der EM schaut, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Wer aber den Frauenfußball jetzt mit vollem Engagement unterstützt, kann langfristig nur gewinnen.
Clar* Gallistl ist Obperson der Fußballfans gegen Homophobie Österreich und berät zu gendergerechter Sportpolitik sowie Fairness und kultureller Zugehörigkeit.
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