Ein Rettungsplan für die nachhaltige Entwicklung der Welt

Ab heute, 30. Juni, treffen die Staats- und Regierungsoberhäupter in Sevilla (Spanien) zu einer Rettungsmission zusammen – mit dem Ziel, dringende Kurskorrekturen bei den weltweiten Investitionen in die nachhaltige Entwicklung vorzunehmen.
Es steht enorm viel auf dem Spiel. Ein Jahrzehnt nach der Verabschiedung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und etlichen globalen Verpflichtungen zu ihrer Finanzierung befinden wir uns bei zwei Dritteln der Zielvorgaben im Rückstand. Weltweit werden jährlich mehr als 4 Billionen US-Dollar zu wenig an Finanzmitteln aufgebracht, die den Entwicklungsländern fehlen, um die Zusagen bis 2030 zu erfüllen. Derweil kühlt die weltweite Konjunktur ab, Handelsspannungen verschärfen sich, Gelder für Entwicklungshilfe werden massiv gekürzt, während Militärausgaben ansteigen, und die internationale Zusammenarbeit ist so stark belastet wie selten zuvor.
Die globale Entwicklungskrise ist keine abstrakte Größe. Sie bemisst sich an Familien, die abends hungrig zu Bett gehen, an Kindern, die nicht geimpft werden können, an Mädchen, die gezwungen werden, die Schule zu verlassen, und an ganzen Gemeinschaften, denen es an einer Grundversorgung fehlt.

UN-Generalsekretär António Guterres
Kurskorrektur
Wir müssen den Kurs korrigieren. Der erste Schritt dazu erfolgt bei der vierten Internationalen Konferenz über Entwicklungsfinanzierung, auf der ein ambitionierter, weltweit unterstützter Plan zur Investition in die Ziele für nachhaltige Entwicklung verabschiedet werden muss. Dieser Plan sollte drei wesentliche Aspekte umfassen.
Erstens muss Sevilla uns dabei helfen, den Zufluss finanzieller Mittel an diejenigen Länder zu beschleunigen, die ihn am dringendsten benötigen. Und dies muss schnell geschehen. Die Länder müssen das Ruder in der Hand halten und innerstaatliche Ressourcen mobilisieren, so etwa durch verstärkte Einziehung von Steuern und Bekämpfung der Steuerhinterziehung, der Geldwäsche und illegaler Finanzströme im Wege der internationalen Zusammenarbeit. Damit könnten die dringend benötigten Mittel erwirtschaftet werden, die prioritär in Bereiche mit weitreichender Wirkung wie Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsplätze, Sozialschutz, Ernährungssicherheit und erneuerbare Energien fließen sollten.
Zugleich müssen nationale, regionale und multilaterale Entwicklungsbanken sich zusammenfinden, um größere Investitionen zu finanzieren. Um dies zu unterstützen, müssen die Kreditvergabekapazitäten dieser Banken verdreifacht werden, damit die Entwicklungsländer leichter Zugang zu Kapital zu erschwinglichen Bedingungen und längeren Laufzeiten erhalten. Dieser erweiterte Zugang sollte auch die Umlenkung bedingungslos geschaffener Reservemedien – oder Sonderziehungsrechte – an Entwicklungsländer umfassen, vorzugsweise durch multilaterale Entwicklungsbanken, mit dem Ziel, ihre Wirkung zu vervielfachen.
Auch private Investitionen sind unverzichtbar. Ressourcen lassen sich dadurch erschließen, dass die Unterstützung bankfähiger Entwicklungsprojekte mit privaten Mitteln erleichtert und Lösungen gefördert werden, die Währungsrisiken mindern und öffentliche und private Finanzierung wirkungsvoller miteinander kombinieren. Dabei müssen die Geber ihre Entwicklungszusagen durchgängig einhalten.
Neues Schuldensystem
Zweitens müssen wir das globale Schuldensystem neu justieren. Es ist ungerecht und funktionsunfähig. Das derzeit geltende Kreditsystem ist nicht tragfähig und aus Sicht der Entwicklungsländer wenig vertrauenswürdig. Das lässt sich leicht nachvollziehen. Der Schuldendienst wirkt wie eine Dampfwalze, die Entwicklungsfortschritte mit ihrer Last von mehr als 1,4 Billionen US-Dollar pro Jahr regelrecht erdrückt. Viele Regierungen sehen sich gezwungen, in der Summe mehr für die Schuldenrückzahlung auszugeben als für grundlegende Leistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung. Sevilla muss zu konkreten Schritten zur Senkung der Kreditkosten führen, die zeitnahe Umschuldung zugunsten von Ländern mit nicht tragfähiger Verschuldung bewirken und den Ausbruch von Schuldenkrisen von vornherein verhindern.
Im Vorfeld der Konferenz haben eine Reihe von Ländern Vorschläge eingebracht, um die Schuldenlast der Entwicklungsländer zu mindern. Dazu zählen das vereinfachte Aussetzen des Schuldendienstes in Notsituationen, die Einrichtung eines zentralen Schuldenregisters zur Stärkung der Transparenz und eine verbesserte Risikobewertung von Entwicklungsländern aufseiten des IWF, der Weltbank und der Ratingagenturen.
Drittens muss in Sevilla das Mitspracherecht und der Einfluss der Entwicklungsländer innerhalb des internationalen Finanzsystems ausgeweitet werden, damit es ihren Bedürfnissen besser gerecht wird. Die internationalen Finanzinstitutionen müssen ihre Lenkungsstrukturen reformieren, um den Entwicklungsländern mehr Gehör und Mitwirkungsmöglichkeiten in den Institutionen zu verschaffen, auf die sie angewiesen sind. Die Welt benötigt zudem ein gerechteres globales Steuersystem, das von allen Regierungen, nicht nur von den reichsten und mächtigsten, gemeinsam gestaltet wird.
Die Gründung eines „Clubs der Kreditnehmer“, in dem die Länder ihre Vorgehensweisen abstimmen und voneinander lernen können, ist ein weiterer vielversprechender Schritt zum Abbau von Machtungleichgewichten.
Vermögende und Besitzlose
Bei dem Treffen in Sevilla geht es nicht um Wohltätigkeit. Es geht um Gerechtigkeit und den Aufbau einer Zukunft, in der die Länder florieren, sich entwickeln, miteinander handeln und Wohlstand erlangen können. In unserer immer enger vernetzten Welt ist eine Zukunft der Vermögenden und der Besitzlosen ein Patentrezept für noch größere globale Unsicherheit, die den Fortschritt aller Länder weiter lähmen wird.
Mit einem neuerlichen entschlossenen Eintreten und Handeln der Weltgemeinschaft kann in Sevilla ein neuer Impuls gesetzt und so ein gewisses Maß an Vertrauen in die internationale Zusammenarbeit zurückgewonnen und eine nachhaltige Entwicklung für die Menschen und den Planeten verwirklicht werden.
In Sevilla müssen die Staats- und Regierungsoberhäupter gemeinsam handeln, um diese Rettungsmission zum Erfolg zu führen.
Zum Autor:
António Guterres ist Generalsekretär der Vereinten Nationen.
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