Ein Leben ohne Arbeit?

Ein Leben ohne Arbeit?
Der neue Kampf auf dem Arbeitsmarkt ist ein Wertewandel. Ein Gastkommentar von Daniel Dettling.

Corona hat offenbar tiefere Spuren auf den Arbeitsmärkten hinterlassen als angenommen. Zumindest für die westlichen Staaten liegen neue Zahlen vor, die nachhaltige Folgen für Unternehmen und staatliche Sicherungssysteme haben werden. Heute können sich mehr als die Hälfte der Beschäftigten ein Leben ganz ohne Berufstätigkeit vorstellen. Weniger als die Hälfte (47 %) stimmen der Aussage zu: „Mein derzeitiger Beruf bedeutet mir sehr viel.“ Diese Zahlen aus Deutschland fallen in den meisten OECD-Staaten ähnlich aus. In einer internationalen Umfrage gaben 44 Prozent an, dass sich ihre beruflichen Prioritäten während Corona verschoben hätten. Besonders kritisch zum eigenen Beruf geben sich mittlere Altersgruppen. Für nur etwas mehr als jeden Dritten zwischen 30 und 44 ist der eigene Job „Lebensinhalt“. Das ist noch weniger als in der Generation Z, die für die meisten (älteren) Arbeitgeber als die illoyalste gilt.

Zu den wesentlichen Treibern der neuen Arbeitsunlust zählt der Personalmangel. Fast zwei Drittel sieht dünne Personaldecken als Ursache der großen Unzufriedenheit. Fast jeder Zweite fühlt sich unzureichend gefördert, die Hälfte erkennt keine Aufstiegschancen im Unternehmen. Der Wettbewerb um Talente wird für die Unternehmen zum harten Verteilungskampf. In einer höheren Entlohnung und der Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich sehen die befragten Arbeitnehmer die Wege aus der Jobkrise hin zu mehr Stellenbesetzungen und weniger Kündigungen.

Weniger arbeiten und mehr Freizeit und damit Zeit für Konsum, Freunde, Familie hat für die Einzelnen Vorteile, stellt die Gesellschaft aber auch vor handfeste Herausforderungen. Wenn auch in Bildung, Ausbildung, Forschung und Entwicklung weniger gearbeitet wird, kommen weniger gut ausgebildete Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt, die Unternehmen verlieren an Innovationskraft, der Staat Steuereinnahmen.

Die Alternative zur aktuellen Jobkrise heißt „Weniger arbeiten, dafür produktiver und innovativer und das für beide Geschlechter.“ Der Kampf auf dem Arbeitsmarkt ist im Kern ein Wertewandel. Der Stellenwert von Arbeit wird radikal hinterfragt, Corona hat den Wandel beschleunigt. Gefragt sind jetzt ein klarer Kopf und klarer Fokus auf die wesentlichen Dinge. „Jetzt“ ist der zentrale Begriff für das, was ansteht. Jetzt, nicht erst in der Zukunft, müssen wir beginnen. Wir leben in einer Zeit des Aufbruchs, in einer unternehmerischen und mutigen Zeit. Vom römischen Dichter Vergil stammen zwei Zitate, die auch heute noch an vielen Toren und Gebäuden zu sehen sind: „Omnia vincit armor“ („Alles besiegt die Liebe“) und „Labor omnia vincit“ („Die Arbeit besiegt alles“). In der Kombination ergeben beide einen neuen Sinn: Wenn wir den Wandel annehmen und seine Aufgaben, die er an uns stellt, lieben, dann können wir alles schaffen.

Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und leitet das Institut für Zukunftspolitik.

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