Es gibt keine Militärlösung in Nahost

Israelische Militäroperation in Jenin, Westjordanland
Israelis und Palästinenser sind verdammt zum Miteinander – und brauchen neue Führer, um den Teufelskreis der Gewalt zu brechen.
Walter Friedl

Walter Friedl

Und ewig grüßt das Murmeltier: Man schrieb das Jahr 2002, israelische Truppen dringen in das Flüchtlingscamp in Jenin ein, es kommt zum großen Kampf – 23 israelische Soldaten werden getötet, 52 Palästinenser ebenso. 21 Jahre danach dasselbe Szenario, zwar mit weniger Opfern (keines auf israelischer Seite, rund ein Dutzend auf palästinensischer). Doch Terrorabwehr und Terrorprävention lautete die Begründung damals wie heute.

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Dazwischen liegen mehr als zwei Jahrzehnte, in denen sich die israelische Gesellschaft stark polarisiert hat und auf palästinensischer Seite Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit viel zu viele Jugendliche in die Arme radikaler Gruppen getrieben haben. Jenin im Westjordanland war und ist ihr Sammelpunkt. Dort musste die palästinensische Selbstverwaltung, die für Sicherheit verantwortlich sein sollte, kapitulieren – vor einer Hamas, einem Islamischen Dschihad oder neuen Gruppen wie "Löwengrube".

Seit Monaten nimmt daher Israel diese Zellen ins Visier, die aktuelle Militäraktion ist dennoch mehr innenpolitischen Motiven geschuldet: Seit Wochen fordern Premier Benjamin Netanjahus rechtsrechte Regierungspartner Derartiges. Jetzt erfüllte er ihnen diesen Wunsch – wohl auch in der Hoffnung, sie bei der Stange zu halten, wenn die Justizreform bloß in abgeschwächter Form kommen sollte. Denn die Hardcore-Variante hatte den Konservativen im In- und Ausland massiv unter Druck gebracht.

Ende (halbwegs) gut – alles gut? Mitnichten. Jede israelische Militäraktion vergrößert den Kreis potenzieller Attentäter. Und auf jede palästinensische Gewalt wird Israel reagieren. Die Frage von Ursache und Wirkung ist da längst sekundär, es gilt, endlich aus dem Teufelskreis auszubrechen und das Blutvergießen zu stoppen.

Dazu braucht es aber mutige Schritte und auch neue, mutige Politführer, die nicht in den alten Mustern gefangen sind. Das aktuell Personal? Schlimm: Auf der einen Seite ein 73-jähriger Langzeit-Regierungschef, der 1988 erstmals in die Knesset einzog, auf der anderen mit Mahmud Abbas ein 87-jähriger Präsident, der sich Neuwahlen beständig entzieht.

Gemäßigte werden nicht gehört

Die beiden stehen nicht für Erneuerung und Hoffnung. Im Gegenteil, sie verspielen die Chancen ihrer Kinder und Enkel: In Israel wird der Rechtsstaat offen herausgefordert, radikale Siedler nehmen dem Staat das Gewaltmonopol zusehends aus der Hand. Und in den palästinensischen Gebieten erfreuen sich extremistische Elemente großen Zulaufs. Die gemäßigten Stimmen zwischen Jericho und Jenin und Jerusalem und Jaffa, die für ein friedliches Miteinander plädieren, bleiben derzeit auf der Strecke.

Nichtsdestotrotz ist ihr Credo das einzig wahre: Israelis und Palästinenser sind zum Zusammenleben verdammt. Eine militärische Lösung für das Problem gibt es nicht.

Es gibt keine Militärlösung in Nahost

KURIER-Außenpolitikredakteur Walter Friedl.

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