Eigenverantwortung in der Corona-Krise: Ein Land der Unmündigen?
Viele Kritiker haben sich an dem Aus für die Corona-Quarantäne gerieben. Einer davon war Harald Mayer, Vizepräsident der Ärztekammer.
Es war aber weniger sein Nein zu dieser Lockerungsmaßnahme, das nachdenklich machte, als ein Teil seiner Begründung. Er erklärte in einem Interview das Thema Eigenverantwortung für gescheitert. Die hätten die Österreicher nicht in dem Ausmaß, dass man eine Pandemie in Schranken halten könne.
Sind wir also eine Nation der Unmündigen, wie eine Tageszeitung die Frage dazu formulierte?
Brauchen wir für all unsere Schritte den Staat, der uns genau vorgibt, in welche Richtung wir gehen sollen? Wer in den vergangenen Tagen die Debatten über das Quarantäne-Aus verfolgt hat, der musste diesen Eindruck gewinnen. Da wurden Probleme aufgeworfen, die teilweise an Skurrilität nicht zu überbieten waren. Das beste Beispiel dafür war eine Frage des Moderators in der ZiB2 an Gesundheitsminister Johannes Rauch, wie das funktionieren soll, wenn ein Infizierter in einem Großraumbüro Wasser trinken will, aber in dieser Zeit die Maske nicht abnehmen darf. Dass Rauch die Frage als weltfremd abqualifiziert hat, war die richtige Antwort.
Der dritte grüne Gesundheitsminister ist auch jener, der das Wort Eigenverantwortung bisher am öftesten in den Mund genommen hat. Das liegt wohl daran, dass er aus Vorarlberg stammt. Das kleinste Bundesland grenzt an die Schweiz und konnte genau mitverfolgen, wie die Menschen dort in der Pandemie selbstbestimmter mit viel weniger Regeln das Auslangen gefunden haben. Ohne dass die Infiziertenzahlen im Vergleich zu Österreich außergewöhnlich in die Höhe geschnellt wären. Ein Quarantäne-Aus hat bei den Eidgenossen bei Weitem nicht für eine so kontroverse Debatte gesorgt wie hierzulande.
Staat agiert in der Art von Helikopter-Eltern
Historiker und Soziologen sehen den ambivalenten Umgang der Österreicher mit der Eigenverantwortung in der geschichtlichen Entwicklung des Landes. Teilweise wird von einer „Untertanenmentalität“ gesprochen, teilweise wird die Politik in der Ziehung gesehen, die zu sehr den Eindruck vermittelt hat, für alles da zu sein, alles richten zu können. Nur um klarzustellen: Wer das kritisiert, ist nicht gegen eine solidarische Gesellschaft. Er ist dagegen, dass der Staat in der Art von Helikopter-Eltern agiert und den Menschen das Gefühl vermittelt, er könne alles bis ins kleinste Detail regeln und immer einspringen, wenn etwas nicht funktioniert.
Das Phänomen der fehlenden Eigenverantwortung ist natürlich nicht neu, es wurde nur durch Corona schonungsloser offen gelegt. Was all jene – Politik, Wissenschaft, Gesellschaft – auf den Plan rufen müsste, die sich mit dieser Diagnose nicht tatenlos abfinden wollen.
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