Blick zurück ohne Zorn

Martina Salomon
Familien, Schule, Arbeitsmarkt: Wie die Krise die Spielregeln veränderte und welche Schwachstellen sie offenlegte.
Martina Salomon

Martina Salomon

An diesen Muttertag werden wir uns noch lange erinnern – in einem Jahr, in dem das Schlagwort "Disruption" real wurde. Die arbeitsteilige Gesellschaft war gestern – Eltern haben Erziehung und Unterricht ihrer Kinder selbst übernommen, sich gegenseitig die Haare geschnitten, gekocht und gebacken, bis die Germ ausging. Der Wert von Erziehungsarbeit, von Gesundheit und Dienstleistung wurde uns drastisch vor Augen geführt – plus etliche Systemmängel: zum Beispiel, wie viel Nachholbedarf wir alle in Sachen Digitalisierung hatten.

Das wird auch den Arbeitsmarkt für immer verändern – noch dazu angesichts der teilweise komplett abgewürgten Wirtschaft. Viele der jetzt Arbeitslosen oder von Kurzarbeit Betroffenen werden nicht mehr in ihre früheren Jobs zurückkehren können. Weil man gesehen hat, um wie viel effizienter ein Betrieb zu organisieren ist. Weil sich die Firmen die Lohnkosten schlicht nicht mehr leisten können oder wollen. Und weil im Windschatten der Krise die Trennung von Mitarbeitern, die schon länger nicht mehr den Ansprüchen gerecht wurden, leichter fällt.

Es wird eine schmerzhafte Pleitewelle in Tourismus, Gastro, Reise und Mode geben, die vor allem Kleinunternehmen trifft. Die eilig gezimmerten Rettungsschirme der Regierung sind für sie zu kompliziert und ohne Steuerberater-Armada kaum zu durchschauen. Die Krise legt auch die Schwachstellen der Unternehmensförderung der letzten Jahrzehnte offen: Das System war immer schon zu undurchsichtig, zu föderalistisch, wahrscheinlich auch zu kammerstaatlich. Dazu kommt eine Finanzverwaltung, die generell lieber auf Strafen, denn auf Unterstützung getrimmt ist. Was wiederum "Kleine" und ihre Mitarbeiter besonders trifft.

Viele sind jetzt verständlicherweise angefressen und verzweifelt – Freischaffende, Wirte, Künstler, Kleinunternehmer, Väter und Mütter, Menschen, die ihre Arbeit verloren haben. Im Nachhinein wird man sorgfältig analysieren müssen, was besser laufen hätte können – oder davor schon renovierungsbedürftig war. (Parteipolitische) Schuldzuweisungen sind dabei eher nicht hilfreich. In so einer Ausnahmesituation können alle Regierungen der Welt nur "auf kurze Sicht" fahren. Vieles haben Kurz, Kogler & Co. besser gemacht als andere, manches war im Rückblick wohl unverhältnismäßig. Das Isolieren von "Hotspots" wiederum hätte schneller erfolgen müssen. Mit dem Wissen von heute hätten ansonsten vielleicht Handhygiene, Abstand und am Beginn auch Masken gereicht. Man hätte Schulen nicht schließen und auch keinen so radikalen wirtschaftlichen Lockdown verordnen müssen. Corona ist international ein brutaler "Gamechanger", der eine Neubewertung aller Systeme erforderlich macht. Fangen wir gleich damit an. Statt Wut im Bauch braucht es Mut im Denken.

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