Ein Schulsprecher geht mit Bildungssystem und Jugend hart ins Gericht

Schulsprecher Mohid Singh hat ein klares Lebensziel: Eine "Legacy" zu hinterlassen.
Mohid Singh ist kein gewöhnlicher Schüler. Mohid Singh ist einer, der Missstände nicht hinnimmt, sondern dagegen etwas unternimmt. Deswegen ist der 19-Jährige, der vor zehn Jahren mit seiner Familie aus Afghanistan nach Wien kam, seit einem Jahr Schulsprecher des Gymnasiums am Augarten.
Was den jungen Mann, der sechs Sprachen spricht, motiviert hat, für das Amt zu kandidieren? "Ich habe mich von der Schülervertretung nicht repräsentiert gefühlt. Sie war inkompetent." Auf seinem Rundgang durch 28 Klassen stellte er sich jeweils mit denselben Worten vor: "Wenn wir einen Wandel sehen möchten, dann müsst ihr mich unterstützen und zu mir stehen."
Bereut habe der Maturant seine Amtszeit als Schulsprecher nicht, mit Stolz blickt er auf gelungene Projekte zurück. Wie etwa wirtschaftliche Bildung, die für ihn immer ein großes Thema gewesen sei. "In der Schule wird von Chemie bis Geometrie alles beigebracht. Inhalte wie 'Wie geht man mit seinen Steuern um?' oder 'Was ist ein Mietvertrag?' Nein."
Deshalb ließ er einen Workshop zu diesen Themen einführen. Auf einer Plattform bekamen Siebt- und Achtklässler Zertifikate für den Abschluss der Wirtschaftsmodule.
Bürokratie als Hürde
Viel schwieriger sei die Umsetzung eines anderen Projekts gewesen. Nämlich für kostenlose Hygieneprodukte in den Damen-Toiletten zu sorgen. Denn Singh wollte ein komfortables Klima für alle Schüler schaffen. Die Bürokratie im Schulsystem kam ihm allerdings in die Quere. Also ging er seinen eigenen Weg. "Bei Zusammenkünften mit Direktor, Elternverein und Lehrervertreter habe ich nie meine Projekte vorgestellt. Ich wusste, es würde viel Opposition und Bürokratie geben."
Was tat er also? Er implementierte seine Projekte selbst. "Ich finanzierte meine Projekte aus meiner eigenen Tasche und legte die Rechnung dem Elternverein vor. Dieser war dann gezwungen, mir das Geld zu überweisen, weil das Projekt schon fertig war", schildert Singh seine unorthodoxe Vorgangsweise, um sie gleich zu rechtfertigen. "Schülervertreter werden einfach nicht ernst genommen."
"Dieses Thema wird immer ignoriert, von jeder Partei. Dabei beginnt alles mit der Bildung"
über die Bildung
Diese Tatsache würde er gerne ändern. Genauso wie das Bildungssystem. "Dieses Thema wird immer ignoriert, von jeder Partei. Dabei beginnt alles mit der Bildung". Wo aus seiner Sicht die größten Unzulänglichkeiten des Bildungssystems in Österreich seien? "Überall", kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. "Es fängt schon beim Schulbeginn um 8 Uhr an. Das fühlt sich wie Militär an. Auch das Notensystem ist ein großes Problem", kritisiert der redegewandte Schülervertreter.
Die Matura an sich finde er gut, sie beinhalte aber auch viele Lücken. "Ich konnte es nicht glauben, als mir mein Klassenvorstand gesagt hat, dass wir am Maturatag alle mündlichen Fächer haben. Man muss sich vorstellen, wir haben mit Philosophie, Geografie und Chemie drei verschiedene Richtungen von der Früh bis am Abend. Wenn du einen schlechten Tag erwischt, dann bekommst du einen Fetzen."

Mohid Singh: "Schülervertreter werden einfach nicht ernst genommen".
Ignorante Jugend
Seinen Frustrationen über das Bildungssystem lässt er auf seinem Weblog freien Lauf. Dort sind zudem seine Gedanken zu politischen Themen, aber auch seine Gedichte und Kurzgeschichten zu lesen. Heuer hat es Mohid Singh zudem ins Finale des mehrsprachigen Redewettbewerbs SAG“S MULTI! geschafft. ,,Es ist mir ehrlich gesagt extrem egal, ob ich gewinne oder nicht. Es geht darum, dass ich meine Gedanken herüberbringen kann.“
Egal ist ihm ein anderes Thema ganz und gar nicht: die heutige Jugend. Darüber redet er abgesehen vom Bildungssystem am liebsten. ,,Ich habe das Gefühl, dass die heutige Jugend ignorant und oberflächlich ist. Vor allem der Egoismus ist extrem groß“, kritisiert der 19-Jährige die Jugendlichen, die seiner Ansicht nach viel Multitasking betreiben, sich aber dabei eher mit Nebensächlichkeiten beschäftigen. ,,Sie gehen auf Klimaproteste, um dort ein Instapic (Bild für Instagram, Anm. d. Red.) mit einem Schild zu machen – und nicht aus Überzeugung. Das macht mich traurig. Dabei haben wir derzeit so viele Probleme“, stellt Singh fest.
Sag's Multi: Mohid Singh
Leute aus seiner Umgebung seien nur aufs Geld fokussiert, träumen von einer CEO-Zukunft und einer sechsstelligen Zahl am Konto. "Keiner sagt, dass er sich für Unterprivilegierte einsetzen will. Wenn mich jemand nach meinem Lebensziel fragt, dann lautet meine Antwort: 'Ich möchte eine Legacy hinterlassen'", schildert Singh seine Vision.
"Jugendliche gehen auf Klimaproteste, um dort ein Instapic mit einem Schild zu machen - und nicht aus Überzeugung"
über die heutige Jugend

Österreich-Vertreter in den USA
Der junge Mann, dessen Familie einer Sikh-Minderheit in Kabul angehörte und deshalb verfolgt wurde, ist jedenfalls auf einem guten Weg. Er schaffte es schon in ein Stipendium-Programm, das es ihm ermöglichte, Österreich einen Monat lang in den USA zu vertreten. "Das hat mich mit sehr viel Stolz erfüllt", sagt Mohid Singh mit einem bescheidenen Lächeln. Vor Kurzem folgte eine weitere Ehrung: Singh wurde in die Studienstiftung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Er möchte sich auch in der Zukunft international beschäftigen.
Doch, wo sieht er sich in zehn Jahren? "Ich habe das Gefühl, das Potenzial zu haben, Menschen zu repräsentieren - egal in welcher Form". Auch in der Politik? "Das sagen alle meine Freunde", sagt er mit einem breiten Lachen. Ein Nein schaut anders aus.
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