Nach Erdbeben: "Es begann irgendwann nach Verwesung zu riechen"

"Wir möchten heilen und so gut, wieder in unser altes Leben zurückkehren", sagt Ali Mutlu. Der Schmuckdesigner lebt in der rund 930.000 Einwohner zählenden Stadt Şahinbey der Provinz Gaziantep – rund 70 Kilometer vom Epizentrum des ersten Erdbebens entfernt. "Auf einmal begann alles zu beben. Das ganze Haus verließ in Panik und Angstschreien das Gebäude", erinnert er sich an den 6. Februar zurück. Die ständigen Nachbeben, wie zuletzt auch jenes von Samstagabend mit einer Magnitude von 5.3 in der Gemeinde Göksun der Provinz Kahramanmaraş, lassen Angst und Gewissheit nie ganz schwinden.
Seit fast zwei Wochen prägt die Naturkatastrophe Leben und Alltag von Millionen von Menschen. "Es kam zwar Hilfe aus dem ganzen Land. Aber viele konnten trotzdem nicht geborgen werden. Nach ein paar Tagen begann es teilweise nach Verwesung zu riechen", schildert Mutlu.

Verzweifelte Suche nach Verschütteten in der türkischen Stadt Diyarbakir
Jeder kennt jemanden, der bei dem Erdbeben gestorben ist
Mutlu und seine Familie sind seit dem Erdbeben bei einer Großmutter untergekommen. "Unser Haus ist derzeit leider nicht bewohnbar", sagt er. Zum Glück, fügt er hinzu, habe er keine näheren Familienmitglieder verloren. “Aber aus meinem Umfeld habe ich dennoch einige Verluste. Jeder kennt jemanden, der bei dem Erdbeben gestorben ist", so Mutlu.
Ein paar Minuten nachdem er das sagt, bekommt er eine Nachricht von einer Freundin aus der Provinz Adıyaman. Ihre Familie konnte nun endlich geborgen werden, hieße es darin. Aber niemand habe überlegt.
Einzige Hoffnung
"Den Menschen geht es wirklich sehr schlecht derzeit. Das Einzige, was uns noch ein bisschen Hoffnung gibt, ist, dass immer wieder Menschen noch lebend aus den Trümmern geholt werden", betont er.
Am Samstag konnten – 296 Stunden nach dem ersten Beben – noch Überlebende gerettet werden. Helfer zogen drei Menschen, darunter ein Kind, aus den Trümmern eines Gebäudes in der südtürkischen Stadt Antakya.
Doch Meldungen wie diese sind leider eine Ausnahme, wahrliche Wunder. Gut 264.000 Wohnungen wurden allein in der Türkei nach Behördenangaben zerstört. Zahlreiche Menschen werden immer noch vermisst. Mehr als 46.000 Menschen sind in der Türkei und Syrien bisher offiziell gestorben. Von mindestens 50.000 Toten geht die Weltgesundheitsorganisation aus.
Angst vor Krankheiten
Daneben stellt auch die Versorgung der Millionen Menschen, die in den Regionen von der Naturkatastrophe betroffen sind, eine hohe Herausforderung dar. In der Südosttürkei ist nach Angaben der örtlichen Ärztekammer der Zugang zu sauberem Trinkwasser gefährdet. Leitungswasser könne womöglich durch Vermischung mit der Kanalisation verseucht sein und sei deswegen zurzeit nicht zu genießen, sagte der Chef der Ärztekammer (TTB) im südtürkischen Adana, Selahattin Mentes.
In manchen Bezirken wie Nurdağı in Gaziantep gebe es gar kein Wasser, weil alles zerstört worden sei. „Wir brauchen dringend Zugang zu sauberem Trinkwasser in der Region und müssen Hygiene herstellen. Außerdem muss der Müll entsorgt werden“, sagte er. Andernfalls droht die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Sanitäranlagen sind in vielen Regionen noch immer ein großes Problem. Auch der TTB-Vizechef Ali Ihsan Ökten betont: Der Bedarf an Lebensmitteln ist zurzeit gedeckt. Aber wir brauchen Chlortabletten, mobile Toiletten, Reinigungsmittel und Impfungen gegen Tetanus und Diphtherie.“
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