Bosnien: Ein Land, in dem Vorbestrafte in der Regierung sitzen

Was haben der Verteidigungs-, Sicherheits- und Finanzminister Bosnien-Herzegowinas gemeinsam? Sie alle sind amtsbekannt. Die neuen politischen Gesichter im kleinen multi-ethnischen Balkanland sorgen für heikle Stimmung. Ob so eine Annäherung an die EU möglich sein kann, ist fraglich.
Parteipolitische Staatsanwaltschaft
Zoran Tegeltija von der Partei der unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) sitzt als Finanzminister im Ministerrat. Er wurde während seiner Amtszeit in der Zollverwaltung von Banja Luka wegen Amtsmissbrauchs zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Genauere Details soll es nicht geben.
Die umstrittene Staatsanwaltschaft in Bosnien-Herzegowina hat den Ruf, bei Verfahren, in denen Politiker die Hauptfigur spielen, parteipolitisch zu agieren. Das Amtsgericht bestätigte auf unsere Anfrage, dass sich die Unterlagen zu seinem Fall nicht mehr im Archiv befinden. Somit können sie keine weiteren Auskünfte mehr geben.
Kneipenschlägerei
Der Verteidigungsminister Zukan Helez konnte seine Weste auch nicht ganz sauber halten. Der Sozialdemokrat wurde letztes Jahr wegen Falschaussage und 2014 wegen einer Kneipenschlägerei, die sogar von Sicherheitskameras gefilmt wurde, verurteilt. Die Aufnahmen zeigen den ehemaligen Parlamentsabgeordneten umgeben von sichtlich betrunkenen Kollegen bei einer Rauferei. Das Video ging viral.
Keine Antwort auf kritische Fragen
Besonders umstritten ist der neue Sicherheitsminister Nenad Nešić. Der Präsident der Demokratischen Allianz (DNS) und ehemaliger Inspektor der Kriminalpolizei soll 2011 in Serbien wegen Körperverletzung eines Polizisten verurteilt worden sein. Der KURIER hat versucht Nešić telefonisch mit den Vorwürfen zu konfrontieren, doch er legte auf - was typisch für ihn sein soll.
Im November 2020 wurde in Bosnien-Herzegowina gegen ihn wegen des Verdachts der Fälschung von Dokumenten und der Umgehung öffentlicher Vergabeverfahren ermittelt. Die Untersuchungen wurden im Oktober 2021 ad acta gelegt. Auch in diesem Fall sprechen viele von unehrlichem Verhalten der Staatsanwaltschaft. Zudem wird dem Sicherheitsminister immer wieder vorgeworfen, Kontakte mit kriminellen Drogenbanden zu pflegen.
Über die Jahre sorgte Nešić mit seinen nationalistischen Haltungen für Furore. Dass er nun Zugang zu klassifizierten Dokumenten hat und für die Sicherheit im Land sorgen muss, beunruhigt daher viele.
Aber wie kann es sein, dass Vorbestrafte Minister werden?
Wie es zu der Ernennung der Minister kommen konnte, fragen sich viele. Der Sead Turčalo von der Universität in Sarajevo sieht da mitunter eine strategisches Ziel der nationalistischen Partei SNSD dahinter. "Die Strategie der SNSD war es, den Sicherheits- und Finanzminister zu stellen, damit diese Institutionen von innen heraus destruiert werden können", erklärt er. Für die EU-Integration des Landes sei das gesamte Auftreten der Regierung kontraproduktiv. "Es erfordert viele schwierige Fragen. Wenn wir diesen weiterhin ausweichen, wird der Weg [in die EU] unendlich lang".
Um überhaupt erst Minister werden zu können, müssen die vorgeschlagenen Kandidaten Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen. Diese werden von der Zentralen Wahlkommission (CIK) sowie der Staatlichen Agentur für Ermittlungen und Schutz (SIPA) vorgenommen, welche auf Anfrage bestätigt, dass die Überprüfungen ordnungsgemäß durchgeführt wurden, weshalb die Kandidaten auch Grünes Licht bekommen hätten.
Viele Juristen im Land stehen der Überprüfung kritisch gegenüber. Es sei ein "vollständiger Abbau des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Regierung", kritisierte ein ehemaliges CIK-Mitglied im Interview mit lokalen Medien. Auch das Politiker die Anklagebank drücken müssen, sei nichts neues.
International wurden trotzdem große Hoffnungen in die neue Staatsregierung von Bosnien-Herzegowina gesetzt. Nachdem der Hohe Repräsentant Christian Schmidt ein umstrittenes Wahlgesetz umgesetzt hatte, legte er den Parteien nahe, so rasch wie möglich eine Regierung zu bilden. Vier Monate nach den Wahlen war es dann so weit - Vertreter aus den Vereinigten Staaten und der EU lobten, dass es in "Rekordzeit" geschah. Experten meinen aber, dass die problematische Vergangenheit der Minister ein falsches Bild abgibt.
Bürger haben sich gewöhnt
Die Bevölkerung hat keine großen Hoffnungen. Viele packen weiterhin die Koffer oder treten der Politik nur resigniert gegenüber. "Es dürfte nicht die Norm sein, ist aber die Realität, die wir in Bosnien-Herzegowina leben. Strafrechtliche Verurteilungen sprechen Bände über die Integrität einer Person und sollten sie für ein öffentliches Amt diskreditieren. Bei uns gilt das anscheinend nicht. Aber die Bürger haben sich daran gewöhnt", sagt Ivana Korajlić von Transparency International.
Die öffentliche Wahrnehmung der Politik scheint außerdem immer verdrossener zu werden. "Es ist mittlerweile zu einem Witz geworden, dass es nur von Vorteil ist, unter Sanktionen zu stehen oder verurteilt worden zu sein, wenn man ein erfolgreicher Politiker [in Bosnien-Herzegowina] sein möchte", erklärt Korajlić mit einem besorgten Unterton. Sie bezieht sich damit auf weitere hochrangige Politiker wie etwa Željka Cvijanović. Die ehemalige Präsidentin der Republika Srpska, der kleineren Entität des Landes, ist seit den Wahlen die serbische Vertreterin im dreiköpfigen Staatspräsidium. Im April 2022 wurde sie gemeinsam mit Separatistenführer Milorad Dodik für ihre politischen Handlungen sanktioniert.

In Bosnien nichts Neues
Für die Annäherung an die EU wird diese Regierung kein großer Hoffnungsträger sein, meint Florian Bieber, Südosteuropa-Experte der Universität Graz. "Obwohl die Regierung für bosnische Verhältnisse schnell gebildet wurde, überwiegen die positiven Signale nicht", erklärt er im Gespräch mit dem KURIER. Die Regierung wurde durch viele Kompromisse der verschiedenen Parteien gebildet und setzt die "vollkommene Fragmentierung" der Politik weiter durch. Alle Minister würden demnach ihre eigene Politik verfolgen und keine gemeinsame Politik Bosnien-Herzegowinas.
Auch der in den letzten Tagen viel diskutierten Wahländerung steht er kritisch gegenüber. "Das Wahlgesetz konnte der ethno-nationalistischen Partei HDZ überproportional viel Macht einräumen. Auch der Zeitpunkt der Änderungen ist problematisch. Diese rückwirkend am Wahltag durchzunehmen widerspricht jeglichem Demokratieverständnis", sagt Bieber. Die Zusammensetzung der Minister sei aber nicht nur dem Hohen Repräsentanten Christian Schmidt verschuldet. Zu vergangenen Regierungen gibt es keinen großen Unterschied. Es wird wohl noch dauern, bis der multi-ethnische Staat ernsthaft an einen Aufbruch in Richtung EU arbeiten kann.
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