"Bin deine Sklavin, töte mich!": Wie Gewalt an Frauen Balkan-Musik prägt

Lepa Brena, einer der größten ex-jugoslawischen Schlagerstars, in der Rolle der Sklavin, die sich von ihrem Lover dominieren lässt.
"Bevor ich dich um Vergebung anflehe: Zieh mich aus, schlag mich an jeder Stelle, wo eine Träne ist. Bestraf mich wie ein Kind, rette mich so, wie eine Frau gerettet werden soll". Die Anfangsverse eines Hits von Svetlana "Ceca" Ražnatović sollten eigentlich bei einem aufmerksamen Zuhörer kalte Schauer über den Rücken laufen lassen. Denn was der größte Turbofolk-Superstar Balkans da von seinem Lover verlangt, könnte aus der SM-Szene kommen, beim Hörer aber als Verherrlichung von Gewalt gegen Frauen verstanden werden.
Die Witwe des Kriegsverbrechers Željko "Arkan" Ražnatović, mit dem sie bis zu seiner Ermordung im Jahr 2000 ein Traumpaar á la Angelina Jolie und Brad Pitt bildete, ist bei weitem nicht die einzige Balkan-Sängerin, die von ihrem Liebsten Ähnliches verlangt. "Lepa Brena", seit Jahren eine der "Königinnen" der am Balkan sehr beliebten Volksmusik, sang schon 1989: "Ich bin deine Sklavin, töte mich! Ich bin deine Sklavin, ich liebe dich!" Von Seka Aleksić, einer anderen populären Sängerin hörte man wiederum Folgendes: "Schlag mich so hart, dass es wehtut! Vielleicht liebten wir uns nicht immer so sehr. Morgen wird's besser sein, glaub mir". In dieselbe Kerbe schlug auch ihre Kollegin Tanja Savić, die sich in ihrem Hit "Zu meinem eigenen Wohl" ("Za moje dobro") Ähnliches wünscht: "Zu meinem eigenen Wohl, trete mich. Lass nicht zu, dass mich das Leben verwöhnt!"
Viral gegangene Prüfungsarbeit
Verwöhnt werden die Frauen in Balkan-Liedern eher selten. Ganz im Gegensatz. Das ist etwas, was Ana Ninković bereits seit Jahren ein Anliegen ist. Die Professorin der serbischen Sprache und Literatur, die nun auch ein Masterstudium an der Fakultät für Dramakünste in Belgrad besucht, beschäftigt sich mit feministischen Themen. Im Rahmen ihres Studiums hat sie im Fach "Pop-Kultur" eine Prüfung ablegen und sich im Zuge dessen entscheiden müssen zwischen einer Seminararbeit und einem multimedialen Projekt. Geworden ist das Zweite. Zum Glück.
Entstanden ist nämlich ein Video, das innerhalb kurzer Zeit zu einem YouTube-Hit in dem ex-jugoslawischen Raum avancierte. "Das Video war eigentlich gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Ich lud es auf YouTube hoch, um es dem Professor und den Leuten in meiner Umgebung zeigen zu können", verrät Ana Ninković im KURIER-Gespräch mit einem Schmunzeln. "Ich postete das Video auch auf meinem Facebook-Profil. Bald fragte mich jemand, ob ich das für die Öffentlichkeit zugänglich machen könnte. Ich tat es, weil ich das Thema so wichtig finde. Irgendwie kam das Video einer Influencerin unter und dann ging der ganze Wahnsinn los", wundert sich die 25-Jährige immer noch darüber, wie ihre Prüfungsarbeit viral wurde. Doch, was ist das eigentlich, was bisher 220.000 YouTube-Nutzer in 11:42 Minuten zu sehen bekamen und schließlich in ihren Blasen sharen mussten?
Idealisierte Erniedrigung und Unterwürfigkeit der Frauen
Ninković hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Überblick über serbische und regionale (ex-jugoslawische) Lieder zu schaffen, deren Texte von Motiven für weibliche Demütigung als ultimativen Nachweis der Liebe für einen Partner dominiert werden, bzw. die männliche Gewalt gegen Frauen in einen Familien-Partnerschafts-Kontext gebracht wird. "Gewalt kann psychologischer, körperlicher oder sexueller Natur sein, die Motive Erniedrigung und Unterwürfigkeit der Frauen zu idealisieren", stellt Ninković in ihrem Konzept fest. Unterstützung für ihr Projekt fand sie in den sozialen Netzwerken.
"Die Songs wurden mithilfe der Mitglieder der Facebook-Gruppe "Ženska posla" ("Frauensachen") gesammelt. Die Anzahl der Vorschläge für Lieder, in denen Gewalt an Frauen 'zelebriert' wird, überschritt Einhundert. Nachdem ursprünglich von einer Idee ausgegangen wurde, die Lieder zu einer Sequenz zu verknüpfen, die auf den Betrachter einen starken, ja schockierenden, Eindruck hinterlassen würde, war klar, dass hundert Songs einen solchen Eindruck verwässern würden", erklärt die Studentin. Sie fokussierte sich daher auf Lieder, die partnerschaftliche Beziehungen thematisieren und in denen die weibliche Demütigung den ultimativen Beweis der Frauenliebe darstellt. Die Auswahl fiel schließlich auf 36 Songs, die sowohl die männliche als auch weibliche Sicht der Dinge darstellen.
Lepa Brena fleht in diesem Song ihren Geliebten auf, sie zu töten:
"Umerziehung" ungehorsamer Frauen
Ana Ninković kam durch die Recherche zur Erkenntnis, dass sich Texte, die Gewalt an Frauen verherrlichen, wie ein roter Faden durch die letzten Jahrzehnte der serbischen bzw. ex-jugoslawischen Musik ziehen. "Der älteste Song, der es in die Auswahl schaffte, wurde 1981 veröffentlicht, der neueste 2020. Das bedeutet, dass dieses Narrativ seit fast vierzig Jahren die heimische Popmusik, unabhängig vom Genre und das kulturelle Milieu, an das sich der/die Interpret/in wendet, dominiert", lautet das ernüchternde Fazit.
Die männliche bzw. weibliche Perspektive in den Songs lässt eine Schlussfolgerung zu, dass "weibliche" bzw. Lieder, in denen das lyrische Subjekt weiblichen Geschlechts ist, von dem Motiv der bedingungslosen Liebe dominiert werden, auch auf Kosten des Leidens, Missbrauchs oder Gewalt. Die meisten dieser Songs fallen in das Turbofolk-Genre (14), während das einzige andere das Popgenre (3 Songs) ist. Songs, in denen das lyrische Subjekt männlichen Geschlechts ist, thematisieren hingegen "Umerziehung" ungehorsamer Frauen mit körperlicher oder sexueller Gewalt. "Songs, in denen das weibliche lyrische Subjekt Demütigung erleidet, sind am häufigsten mit balladenhaften Tönen, einer klagenden Melodie sowie einer pathetischen Stimme untermalt, während wir in Songs, die das Ganze aus der Sicht der Männer darstellen, oft fröhliche Töne vorfinden, die zum Tanzen einladen", schreibt Ana Ninković.
Tanja Savić fleht ihren Geliebten um "Umerziehung" an:
Ein Abbild der Gesellschaft
Auch wenn es ungeplant war, sei die Projekterstellerin froh darüber, dass das Video solch eine Aufmerksamkeit erregt. "Ich habe mich vor allem über das Feedback von Lehrern und Lehrerinnen aus allen Schulstufen, aber auch Universitätsprofessoren - und -professorinnen gefreut, die mein Video ihren Schülerinnen und Schülern bzw. Studierenden zeigen, es in ihrem Unterricht thematisieren wollen", sagt die Belgraderin.
Traurig sei sie über die Erkenntnis, dass sie allerdings vor langer Zeit gewonnen, nun aber auch anderen nahegelegt hat. "Die Texte in den besagten Songs sind leider ein Abbild der Gesellschaft, in der wir leben. Solche Songtexte entstehen nicht einfach so in einem Vakuum. Sie wären schließlich nicht so populär, würden sich das Volk damit nicht identifizieren können", ist sich Ana Ninković sicher.
Ihr Video endet mit der Einblendung von besorgniserregenden Fakten. Demnach hätten die serbischen Medien im Jahr 2021 über 21 Femizide berichtet. 16 Mordversuche an Frauen wurden registriert. Es wird darauf hingewiesen, dass das Autonome Frauenzentrum in Belgrad seit elf Jahren die Morde an Frauen in familiär-partnerschaftlichen Kontext untersucht. Ihre Daten bezieht die NGO aus den Medien. Die staatlichen Behörden wie die Polizei oder die Staatsanwaltschaft würden keine Evidenz darüber führen, sagt Ana Ninković und konstatiert: "Das sagt eigentlich alles über die Gesellschaft, in der wir leben, aus".
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