Amoklauf in Belgrad: Minister gibt "westlichen Werten" die Schuld

Aftermath of school mass shooting in Belgrade
Serbien befindet sich in Schockstarre - und sucht nach Ursachen. Der Bildungsminister sieht die Schuld beim Einfluss des Westens.

"Serbien ist leider auch Teil dieser Welt, in der solche Sachen immer öfter passieren", stellte Branko Ružić gesenkten Kopfes fest. Dem serbischen Bildungsminister wurde die undankbare Aufgabe zuteil, sich wenige Stunden nach dem Amoklauf in einer Belgrader Volksschule, bei einer Pressekonferenz vor die Öffentlichkeit zu stellen und auch über die Ursachen für die "größte Tragödie in der jüngsten Geschichte Serbiens" (O-Ton Ružić) zu sprechen. 

In seiner Erklärung appellierte der Bildungsminister ans Volk, "in diesen schwierigen Momenten sachlich zu sprechen". Was er damit meint, führte er in seiner achtminütigen Ansprache aus. Das System habe nicht versagt, wies er die Schuld von sich bzw. der Regierung. Ursachenforschung scheint Ružić in dieser kurzen Zeitspanne dennoch betrieben zu haben. "Evident ist der krebserregende, tödliche Einfluss des Internets, der Video-Spiele, der sogenannten 'westlichen Werte'", sagte der 47-Jährige.          

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Vorwurf der "politischen Instrumentalisierung" der Tragödie

"Uns allen ist klar, dass eine große Umkehr, schärfere Maßnahmen, aber systematische Lösungsprobleme notwendig sind, damit - Gott bewahre - eine solche Tragödie nicht zu einem sozial akzeptablen Verhaltensmodell wird", erklärte Branko Ružić und ergänzte in demselben Atemzug: "So wie es leider in manchen westlichen Gesellschaften der Fall ist". 

Kurz nach der Pressekonferenz versammelten sich ein paar Hundert Einwohnerinnen und Einwohner Belgrads vor dem Bildungsministerium und forderten lautstark den Rücktritt Ružićs. Zur Demo aufgerufen hatte unter anderem die Nichtregierungsorganisation Youth Initiative for Human Rights (YIHR). Der Bildungsminister Branko Ružić müsse wegen "politischer Instrumentalisierung" der Tragödie an der "Vladislav Ribnikar"-Volksschule zurücktreten, forderte YIHR in einer Aussendung einen Tag nach dem Amoklauf. 

"Mit seiner beschämenden Aussage während der gestrigen Pressekonferenz, dass 'das System nicht versagt' hat und 'westliche Werten, das Internet und Videospiele' am Sterben von Kindern, Lehrern und Sicherheitspersonal verantwortlich seien, wollte Minister Ružić die Gelegenheit nicht verpassen, eine große Tragödie rücksichtslos politisch zu missbrauchen - anstatt Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten", heißt es in der Pressemitteilung.

Polizeidirektor gab die Identität des Täters bekannt

Zur Rechenschaft gezogen sollte demnach auch der Belgrader Polizeidirektor Veselin Milić. Dieser hat in einer Pressekonferenz den 14-jährigen Täter namentlich genannt. Der Schutz personenbezogener Daten sei dadurch verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft müsse die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung dieser Daten prüfen, lautet die Forderung der YIHR.

Dasselbe gelte auch eine vom Täter verfasste Liste mit Namen seiner Mitschülerinnen und Mitschüler, die Milić den anwesenden Pressevertretern zeigte. Dabei soll es sich um eine Abschussliste handeln, die K. K. - so die Initialen des Täters - ersten Ermittlungen zufolge sorgfältig vorbereitet hatte. 

Amoklauf in Belgrad: Minister gibt "westlichen Werten" die Schuld

Die Polizei fand auf dem Schreibtisch des Täters eine Skizze sowie eine "Abschussliste".

Abschussliste und Skizze lagen am Schreibtisch

"Nach den bisherigen Informationen hat der Verdächtige diese Tat einen Monat lang geplant", erklärte Milić während er die Liste der Schülerinnen und Schüler vorstreckte. Anschließend stellte er auch eine Skizze zur Schau. Diese sei laut Polizeidirektor bei K.K. gefunden worden. Darauf ist ein detaillierter Plan zu sehen, wie der Täter die Schule betreten wollte, welche Klassen und Kinder er bei seinem Amoklauf zuerst im Visier und wie er schließlich flüchten wollte. Die Skizze und die Liste seien auf seinem Schreibtisch gefunden worden. Er habe seine Ziele priorisiert, sagte Milić.

"Die Skizze sieht ein bisschen aus wie aus einem Videospiel oder aus einem Horrorfilm. Das deutet darauf hin, dass er detailliert pro Schulklasse geplant hat: Wie er welches Klassenzimmer betritt und wie bzw. in welcher Reihenfolge er welches Kind liquidiert", sagte der sichtlich erschütterte Leiter der Belgrader Polizeibehörde. Um 8:42 habe K.K. schließlich bei der Polizei angerufen, sich vorgestellt und erklärt, er habe auf "mehrere Personen in der Volksschule Vladislav Ribnikar" geschossen.  

Täter durfte mit Vater zum Schießstand

Die Waffe gehört den Ermittlungen zufolge dem Vater des Täters, der demnach einen gültigen Waffenschein besitzt. Die Polizei verdächtigt ihn nun, sie nicht vorschriftsgemäß verwahrt zu haben. Der Bursche hätte keinen Zugang zu ihnen bekommen dürfen.

Wie Präsident Aleksandar Vučić in seiner Pressekonferenz darlegte, handelt es sich bei dem Vater um einen "vorbildlichen Arzt". Zugleich drückte er seine Verwunderung darüber aus, dass der Vater - wie die Ermittlungen zeigten - mit dem Sohn zu einem Schießstand gegangen sei und mit ihm das Schießen geübt habe.

Kritik an Vučić: "Er politisiert die Tragödie"

Vučić wird übrigens auch kritisiert. Auch er hat bei einer einstündigen Pressekonferenz am Mittwochabend die Identität des Täters und seiner Familie preisgegeben. "Es ist sehr schlimm, dass die vollständigen Namen, sowohl des Täters als auch seiner Eltern und diese Fotos an die Öffentlichkeit kommen. All diese Offenlegung von Details, um die Wünsche der Öffentlichkeit zu befriedigen, können kontraproduktiv für die Ermittlungen sein - und dazu führen, dass sich ein derartiges Verbrechen wiederholt", stellte der ehemalige Einsatzleiter des kroatischen Sicherheits- und Geheimdienstes Ante Letica im Gespräch mit dem TV-Sender N1 fest. 

"Was Vučić tut, ist, die Tragödie für politische Zwecke nutzen. Er legt alles offen, um zu zeigen, dass er die Situation unter Kontrolle hat und zeigt dabei völlige Unkenntnis der Gesetzeslage. Es ist beschämend", kritisierte der Sicherheitsexperte. 

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