Vor 75 Jahren: „Mein Großvater entdeckte das LSD“

Vor 75 Jahren: „Mein Großvater entdeckte das LSD“
Vor 75 Jahren testete Albert Hofmann die Substanz. Sein Enkel erinnert sich an den berühmten Chemiker

Simon Duttwyler (39) ist Professor für Chemie an der Zhejiang University in China. Und er ist einer der Enkel von Albert Hofmann, jenem Wissenschaftler, der im Jahr 1943 auf der Suche nach einem Kreislaufstimulans Lysergsäurediethylamid LSD-25 entdeckte.

Vor 75 Jahren, am 19. April 1943, testete Hofmann – er arbeitete bei der Firma „ Sandoz“ in Basel – LSD im Selbstversuch. Als ihm im Labor schwindlig wurde, fuhr er mit dem Rad heim. Auszüge aus dem Protokoll des ersten LSD-Trips der Geschichte: „16.20 Einnahme der Substanz. 17.00 beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz, ... ... auf dem Heimweg mit dem Fahrrad […] nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel ..., ...die vertrauten Gegenstände nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Die Nachbarsfrau war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze …“

Dem KURIER erzählte der Chemiker Simon Duttwyler von seinem Großvater Albert Hofmann und sprach über die Faszination LSD.

Vor 75 Jahren: „Mein Großvater entdeckte das LSD“

Albert Hofmann  wurde 102 Jahre alt, er starb an Herzinfarkt

KURIER: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren Großvater?

Prof. Simon Duttwyler: Anita und Albert Hofmann waren für mich vor allem eines: einzigartige Großeltern. Als Kind und Jugendlicher und auch während meines Studiums habe ich regelmäßig die Ferien bei ihnen in Burg nahe von Basel verbracht. Ihre Herzlichkeit, Offenheit, Sinn für das Schöne und Gastfreundschaft bleiben mir am stärksten in Erinnerung. Zusammen waren sie ein unglaublich starkes Team. Anitas Unterstützung und Klugheit waren mitverantwortlich für den Erfolg meines Großvaters.

Ihr Großvater war eine berühmte Persönlichkeit, er lebte wohl kein gewöhnliches Leben?

Da die LSD-Gemeinschaft eine durchaus bunte Gemeinde war/ist, habe ich zahlreiche Besuche von Gästen der gesamten psychedelischen Palette miterlebt, von Wissenschaftlern, Ärzten, Philosophen, Schriftstellern, Musikern und Künstlern. Die Neugierde und geistige Präsenz meines Großvaters waren beeindruckend, er behielt sie bis ganz zuletzt (Anm. der Red.: Albert Hofmann starb 2008 im Alter von 102 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts).

Wie sehen Sie ihn aus erwachsener Sicht – und als Chemiker?

Ich empfinde es als großes Privileg, einer seiner Enkel zu sein. Seine Leistungen als Chemiker sind herausragend und gehen weit über die Entdeckung des LSD hinaus. Heute realisiere ich immer mehr, wie bedeutend seine Arbeiten sind. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die technischen Hilfsmittel, die Naturwissenschaftlern damals zur Verfügung standen, in keinem Vergleich zu den heutigen stehen. Mein Großvater hatte tiefen Respekt vor der Natur und betonte immer, wie überaus fein und genial biologische Prozesse aufeinander abgestimmt sind und das Phänomen Leben letztlich etwas Geheimnisvolles behält. Er vergaß nie, dass wir eng verbunden sind mit unserer Umwelt und stark von ihr abhängen. Der nüchterne, beobachtende und analysierende Blick des Chemikers und die Perspektive des bewundernden Mystikers waren für ihn keine Gegensätze. Vielmehr verstand er sie beide als notwendig für eine gesamtheitliche Betrachtung der Welt.

Hat Albert Hofmann oft von LSD gesprochen?

Ja, er erzählte gerne, wie das LSD in sein Leben trat. Anders als viele LSD-Begeisterte der 1960er-Jahre, die am liebsten jedermann einen Trip verschrieben hätten, war er sich stets des Potenzials, aber auch der Risiken dieser Substanz bewusst. Sie gehörte seiner Meinung nach in die Hände eines entsprechend ausgebildeten Arztes oder Psychiaters und sollte nur von Menschen konsumiert werden, die sich auf eine bewusstseinsverändernde Erfahrung vorbereitet hatten. LSD und verwandte Verbindungen verursachen eine derart tief greifende Veränderung der Wahrnehmung, dass ein verantwortungsvoller Rahmen, sowohl in der Forschung als im persönlichen Gebrauch, absolut notwendig ist.

Wie denken Sie über LSD, haben Sie es schon probiert?

Ich habe selbst noch nie LSD eingenommen, weil ich das Gefühl habe, der richtige Moment dazu muss kommen. Ehrlich gesagt hat mein Großvater nie jemandem in der Familie empfohlen, Psychedelika auszuprobieren oder gar LSD oder Psylocibin angeboten. Ich bin aber überzeugt, dass uns das LSD nicht verlassen wird. Es ist eine so faszinierende Substanz, dass sie uns vermutlich für immer begleiten wird. Gelänge es, einen respektvollen Umgang damit zu entwickeln, so könnte es sich als wertvoller Bestandteil der medizinischen Forschung und Psychiatrie weiter entfalten.

Die kleine Renaissance der Flower-Power-Droge

„LSD – mein Sorgenkind“, heißt das Buch, das Albert Hofmann über seine „Wunderdroge“ geschrieben hat. Gerne sagte er auch, dass nicht er das LSD gefunden habe, sondern es zu ihm gekommen sei.  Hofmann fühlte sich für die psychedelische Substanz aus dem Mutterkornpilz, die er im Labor des Pharmakonzerns Sandoz entdeckte, bis zuletzt verantwortlich. Nicht nur: Der Chemiker setzte sich stets für die kontrollierte medizinische Nutzung von LSD ein, etwa im Rahmen der Psychoanalyse oder Psychotherapie. Trotz der häufig fatalen Wirkung.

Die psychoaktive Substanz wurde von Sandoz bis zum Jahr 1966 als Therapiehilfsmittel produziert, mutierte im Rahmen der Flower-Power-Bewegung schließlich zur bewusstseinserweiternden Kultdroge. Der US-amerikanische Psychologieprofessor und Hippie-Szene-Guru Timothy Leary setzte sich für die Freigabe von LSD ein. Durch falsche Einnahme erlebten viele Menschen Horrortrips, es kam zu Suiziden, Psychosen und sogar zu Morden. Albert Hofmann war darüber entsetzt, LSD wurde weltweit verboten und ist bis heute illegal.

Dennoch erlebt das Halluzinogen aktuell eine Mini- Renaissance. Etwa als (ebenso illegale) Lifestyle-Droge, die in Mikrodosierung zur Leistungs- und Kreativitätssteigerung eingenommen wird, vor allem im Silicon Valley. Aber auch in der Behandlung kranker Menschen soll LSD  zum Einsatz kommen.

Therapie mit LSD

In der Schweiz forscht der Psychiater Peter Gasser am Universitätsspital Basel mit einer Ausnahmegenehmigung am therapeutischen Potenzial der Droge. Zwei Studien sind schon abgeschlossen,  2017 wurde eine   Phase-II-Studie zur „LSD-unterstützten Psychotherapie bei Personen, die unter Angstsymptomen bei schweren körperlichen Erkrankungen oder an einer psychiatrischen Angststörung leiden“ genehmigt.

„Psycholyse“ heißt die Methode, die – in den 1950er-Jahren entwickelt – mithilfe bewusstseinserweiternder Substanzen die „Psyche auflockern, lösen“ und so psychotherapeutische Prozesse unterstützen soll. In der Schweiz gibt es dazu sogar eine eigene Ärztegesellschaft.  In Österreich ist die LSD-„Therapie“ kein Thema.  „Es ist völlig verpönt und eine heikle Angelegenheit. LSD erzeugt eine ganz andere Art von Rausch, als man ihn  sonst kennt. Bei einem Halluzinogen-Rausch gibt es keinen verlässlichen Sinn mehr. Das ist bedrohlich und kann die Säulen der Psyche wegschwappen, sodass ein Mensch komplett den Boden verlieren kann“, sagt der Wiener Psychotherapeut Stefan Bienenstein. Und: „Das waren Ansätze, die in einer wissenschaftlichen Kraut- und Rübenzeit entstanden sind, man hat sogar versucht,  Alkoholismus mit LSD zu heilen.“

Auch Peter Stippl, Präsident es österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, sagt, dass „psychotrope Substanzen  in der Psychotherapie absolut verpönt, nicht zugelassen und illegal sind.“  Aus seiner Sicht sei es auch sachlich nicht notwendig, heute greife man auf andere Möglichkeiten zurück, um an verdrängte Inhalte zu kommen – etwa Hypnose oder Psychodrama durch Spiel.  

 

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