Wo der Genuss wächst: Warum man jetzt ins Piemont reisen sollte

Sunset in autumn, during harvest time, at the castle of Grinzane Cavour, surrounded by the vineyards of Langhe, the most importan wine district of Italy
Ein Urlaub in Italien ist immer köstlich. Doch kaum eine Provinz fasziniert mit derart vielen intensiven Aromen, weltberühmten Köstlichkeiten und UNESCO-prämierten Landstrichen wie das südliche Piemont.

Nur ein paar Minuten von den knorrigen Rebstöcken des Monferrato entfernt, in einem Wäldchen neben einem Jahrhunderte alten Bauernhaus, rieselt das tiefgelbe Laub der Silberpappeln so intensiv – fast könnte man das Geräusch für Regen halten. Die Herbstsonne blinzelt durch das Blätterdach, der Morgennebel hat sich verzogen und zwischen schlanken Baumstämmen sausen zwei Bracco Pointer mit seidigem, braun-weiß geschecktem Fell durchs Unterholz.

Guarda bene, Zara!“, ruft der 18-jährige Mattia Parodi der älteren Hündin zu. „Schau genau, Zara!“ Und als die Hündin diesmal die Schnauze senkt, hat sie offenbar eine Fährte aufgenommen. Die Ohren aufrecht, den Lauf zielgerichtet, fixiert sie einen Punkt am Waldboden an. Sie schnüffelt, läuft zu ihrem Herrchen, wie sie es gelernt hat, zeigt ihm die Stelle. 

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Mit Alessia, Mattia und Hund Zara vom Bauernhaus Casina Burroni kann man Trüffel suchen gehen.

Mattia kniet sich auf den Waldboden und beginnt, mit der Trüffelhacke in der Erde zu graben. Vorsichtig, um keine Wurzeln, kein Pilznetzwerk zu zerstören. Doch er findest nichts, runzelt die Stirn, schöpft mit der rechten Hand etwas Erde, riecht. „Bist du sicher, Zara?“ Aufgeregt beginnt nun die Hündin, im Loch zu buddeln – und dann sieht Mattia ihn doch. Fingernagelgroß, aber in seiner knorrigen Form und vor allem, an seinem intensiven Geruch, unverkennbar: der Diamant des Piemont, ein weißer Trüffel.

Köstliches Italien 

Italien ist immer eine Freude für die Sinne: Die süße Verheißung des Dolce Vita zieht sich durch fast alle italienischen Landstriche. Doch kaum eine Provinz ist von derart intensivem Aroma, prämierten Hügeln und weltberühmten Köstlichkeiten durchzogen wie das südliche Piemont.

Beweisstück eins: der Trüffel. Während die schwarze Périgord-Sorte in unterschiedlichen Regionen – im Mittelmeerraum, aber auch in Australien oder den Vereinigten Staaten – vorkommt und auch auf Trüffelplantagen gezüchtet werden kann, lässt sich der weiße Trüffel fast ausschließlich in Norditalien und immer nur in der Natur finden. (Das aber, erinnern Anrainer gerne, bitte nur von zertifizierten Trüffeljägern.)

Clock tower in Ovada

Flanieren vorbei an Fassen in verblasstem Terracotta - in Ovada.

Und so strömen jedes Jahr rund 600.000 Besucher in das historische Marktstädtchen Alba. Hier findet an neun Wochenenden von Anfang Oktober und bis Ende Dezember – heuer in ihrer 95. Auflage – die Internationale Trüffelmesse Tartufo Bianco d’Alba statt.

Das Aroma der Nocciola

Wenn man in den schmalen Gassen Albas (die am Wochenende wuselig, wochentags jedoch herrlich ruhig sind) an Fassaden aus verblasstem Terracotta entlangspaziert, steigt aber weniger der Geruch von Trüffel in die Nase; die Knollen werden schließlich sicher unter Glasglocken bewahrt. Vielmehr ist da ein süßer Duft, den Wiener aus Ottakring kennen dürften. 1946 eröffnete Pietro Ferrero in Alba eine Konditorei, die bald zu einer Schokoladenfabrik wurde; 1964 wurde die erste Dose Nutella produziert.

Denn das milde, im Herbst neblige Klima der Region ist nicht nur für den Tuber Magnatum Pico ideal, sondern auch für die Haselnuss. Komplexer im Geschmack und herrlich knackig ist die Nocciola del Piemonte die vielleicht beste Haselnuss der Welt.

Bocca di dama, Monferrato cake

Ebenfalls köstlich: Die Haselnusstorte.

Auch wenn man die Ferrero-Fabrik selbst nicht besichtigen kann, sind Nussprodukte allgegenwärtig. In jedem zweiten Cafés wird die saftige Torta di Nocciole angeboten. Und die luftigen Baci di Dama; Haselnusskekse, die mit Schokoladencreme verbunden sind und von der Seite betrachtet wie küssende Lippen aussehen – daher ihr Name: Damenküsse.

Auch Haselnusscremen gibt es nicht nur von der Weltmarke zu erstehen. An ihrem Stand auf der Piazza San Francesco d’Assisi verkauft Elisa Proglio eine 100-prozentige Crema di Nocciola. Bereits seit dem späten 19. Jahrhundert baut Elisas Familie rund um Alba Haselnüsse an. Ihre Großeltern haben die Früchte vorwiegend noch an Ferrero verkauft; Elisa wollte die alte Tradition der vielseitigen Haselnussprodukte aufleben lassen. Heute rösten und verarbeiten die Proglios all ihre Nüsse wieder selbst.

Sanfte Trüffelspäne

Ein paar Fußminuten von Elisas Stand entfernt, an der Piazzetta Giovanni Falcone, betreten wir den Eingang der Trüffelmesse.

Kurz nach elf Uhr hakt Starkoch Fernando T. Forino vor den neugierigen Augen der Kochshowbesucher 48 Monate lang gereifte und 15 Tage in Milch eingelegte Parmesanrinde in kleine Würfel. Ein Wohlfühlgericht seiner Kindheit, diesmal mit luxuriöser Ergänzung: Wer den pilzbraunen Paddel in die Höhe hält, bekommt über die Verkostungs-Pasta-Portion feinsten Trüffel gehobelt.

Italian truffle pasta

Kaum ein Restaurant in Piemont bietet derzeit keine Trüffelgerichte an.

Fast elektrisierend steigt das Aroma in die Nase – erdig, ganz leicht nach Schwammerl und dabei doch süß. Im Mund entfaltet es sich überraschend mild. Denn weißer Trüffel ist weniger Geschmacks-, als Aromaträger. Doch einer , für den man ein bisschen tiefer in die Tasche greifen muss. Kostenpunkt für die hauchdünnen Späne auf Forinos Gericht: 40 Euro.

Alessia Parodi, zurück im gelben Blätterwald, muss über die rasante Entwicklung des Schlauchpilzes schmunzeln. Als sie klein war und ihr Großvater der Trüffeljäger im Cascina Burroni, war der Bedarf noch so gemäßigt, dass sie manchmal Funde wegwerfen mussten. (Trüffel hält sich etwa zehn Tage im Kühlschrank.)

Heute kommen Besucher aus ganz Europa die schmale Landstraße entlang gerattert, um ihr Trüffelmenü im charmant eingerichteten Landhaus zu verkosten. Oder sie regelmäßig bei der Trüffeljagd zu begleiten. 

Vor einigen Jahren wurde ein 850 Gramm schwerer Trüffel bei der Messer in Alba um rund 170.000 Euro versteigert.

Genuss im Glas

Doch die sanften Hügel des südlichen Piemont sind noch aus einem weiteren Grund Genussregion. Wenn man das Castello di Grinzane nördlich von Alba erreicht, bleibt der Blick zunächst nicht am wuchtigen Schloss, sondern auf den perfekt parallel positionierten Rebstockreihen hängen. Der teils sandige, teils kalkhaltige Boden, die sanften Hügel, die gegen den Frost helfen, und der gemäßigte Regenfall schaffen auch ideale Bedingungen für den Wein.

Sunset in autumn, during harvest time, at the castle of Grinzane Cavour, surrounded by the vineyards of Langhe, the most importan wine district of Italy

Darauf hat sich Camillo Benso konzentriert. Der gewiefte Graf von Cavour, der 1832 von Turin nach Grinzane übersiedelte, setzte sich hier nicht nur für die Vereinigung des Königreichs Italien ein, sondern auch für die Perfektionierung des Barolo-Weins, dem berühmten piemontesischen Rotwein von der Nebbiolo-Traube. Seit 2014 sind die Weinhügel ringsum UNESCO-Weltkulturerbeebenso wie die Rebstöcke eineinhalb Autostunden weiter südlich, auf die man blickt, wenn man im Panoramapool des Nordelaia seine Bahnen zieht.

Lust an der Langsamkeit

Nach dreijähriger Renovierung eines historischen Landsitzes wurde das Nordelaia 2021 als luxuriöses Boutique-Resort eröffnet. 

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Im Nordelaia kommt der Genuss auch mit dem Ausblick. 

Die sanften Erdtönen schmiegen sich fließend in die Umgebung, der Pool ist so ästhetisch, dass man übers Schauen fast das Schwimmen vergisst und die Umgebung so ruhig, dass die Schritte schon kurz nach der Ankunft ein wenig langsamer ausfallen. Dafür wurde das Hotel 2025 mit einem Michelin Key ausgezeichnet.

In der obersten Etage des dreistöckigen Zubaus mit den ewig hohen Fenstern und dem weichem Licht hat Chefkoch Charles Pearce Fine Dining auf eine neue Stufe gehoben.

Schwarzer Teller mit kleiner Portion Muscheln mit Bohnen und Schaum.

Feinste Gerichte im L'Orto.

Bereits das Amuse-Bouche – ein Cacio&Pepe Windbeutel – überrascht mit seinen cremig-intensiven Geschmacksnoten. In den darauffolgenden drei Stunden wird ein Dinner präsentiert, das ein bisschen auch Theaterperformance ist und in einer Region, die für das Fassonarind berühmt ist, beweist, dass auch vegetarische und pescetarische Küche formvollendet sind. Die glasierten Paprika kommen mit Pfirsich und Kapern-Tatar, die gegrillten Muscheln mit Seetang-Salsa und das Risotto mit Gartenkräutern, und fermentierter Zitrone wurde nicht aus Reis, sondern Erdäpfeln zubereitet.

Unberührte Natur

Fast geräuschlos schneidet, brät, arrangiert der britische Koch direkt vor den Gästen, bis um kurz nach 22 Uhr mit dem Amaro der abschließende Digestif serviert wird.

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Charles Pearce und sein Team tüfteln konzentriert an neuen Köstlichkeiten im L'Orto.

Am meisten, erzählt Pearce, der nach verschiedenen Stationen in Italien angekommen ist, liebt er an der Region wie wild und unberührt sie ist. Dass man Familienbetriebe findet, die sich seit Generationen einem Produkt verschreiben.

Das Bauernhaus der Parodis, beispielsweise, gibt es seit 400 Jahren. Mutter Alessia hat mit 14 Jahren ihre erste Hündin erhalten, die sie für die Trüffelsuche trainieren durfte. Als Kira ihren ersten Trüffel aufspürte, schoss Alessia die Freude und der Stolz bis in die Fingerspitzen. 

Und auch Mattias Gesicht leuchtet auf, als er den nächsten Trüffel aus dem Boden holt. „Bravissima, Zara.“ Gut gemacht.

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