Michael Schottenberg: Mit Herzklopfen durch Oberösterreich

Michael Schottenberg in Aktion: Mit seiner Vespa reiste er durch das Land Oberösterreich
Nicht nur in der Fremde lasse ich mich überraschen. Auch in der Heimat. Von einem Land, das ich zu kennen glaube, auf Schritt und Tritt aber mit neuen, fantastischen Geschichten konfrontiert werde. Vieles gilt es zu entdecken. Was prägt die Gemeinschaft einer Region, wo verbergen sich Tradition und vergessenes Handwerk, wo Innovation und Kreativität? Die Auswahl der Gesprächspartner ist mindestens so entscheidend wie die Neugier des Reisenden. Schritt für Schritt eroberte ich mir das Land oberhalb und unterhalb der Enns, fuhr kreuz und quer, hügelauf, hügelab, entdeckte, staunte, und machte vor allem eines nicht: einen Plan. Neuland lässt sich am besten unvorbereitet erfahren.

Ins Land einischaun: Michael Schottenberg
Der Blick auf Unbekanntes erscheint mir als eine der Möglichkeiten, mein Leben neu zu ordnen, um mich vor der Müdigkeit zu bewahren. Wie oft habe ich fremde Länder bereist? Für diesmal habe ich mir vorgenommen, innerhalb der Grenzen zu bleiben. Erschien mir das Vertraute bislang nicht interessant genug? Die Neugier beginnt vor der eigenen Haustüre. Nicht die Geografie entscheidet, die Seelen der Menschen bestimmen Fremde. Oder Nähe.
Michael Schottenberg Der Wiener (geb. 1952) ist seit 1975 Fixgröße auf Bühne, in TV und Kino, auch als Regisseur. Ab 2005 leitete er zehn Jahre das Volkstheater, seit 2015 ist er Reiseautor. 2019 wurde er bei „Dancing Stars“ Zweiter
Vom Inn bis zum Böhmerwald, vom Sengsengebirge bis ins Salzkammergut
Oberösterreich! Beinahe ein ganzes Jahr lang war ich unterwegs. Was für eine Lust, eine Welt zu erkunden, die aus vier Vierteln besteht, dachte ich. Ich sollte recht behalten. Hausruck-, Inn-, Traun- und Mühlviertel gleichen in ihrer Vielfalt einem Kaleidoskop, das Funkeln für denjenigen bereithält, der zu erkennen vermag. Vom Ufer des mächtigen Inn bis zum Böhmerwald, vom Sengsengebirge bis ins Salzkammergut, von den Gestaden des Traunsees bis zum Naturparadies Schlögener Schlinge – auf meiner roten Vespa brauste ich durch alle Regionen. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Die Schönheit der Landschaft ergibt sich aus der harmonischen Verbindung von majestätischen Berggipfeln und sanften Hügeln, von endlosen Ebenen bis hin zu ruhigen Gewässern – die Vielfalt der Natur und die Einzigartigkeit der Topografie formen eine Kulisse, die Staunen macht.
Ich wollte ein Buch über ein Land schreiben. Ich schrieb eines über Menschen.
Wie viel Neuland durfte ich betreten, und wie oft verlor ich mich in Lebensentwürfen? Herzenswärme und Humor zeichneten meine Begegnungen aus. Mal waren es Zufälligkeiten, die das Leben meiner Gesprächspartner beeinflussten, mal das bewusste Erkennen des Augenblicks. Wie Prismen unterschiedlicher Farben und Formen fügten sich meine Polaroidaufnahmen zu einem Ganzen und ergaben das Identitätsdiagramm eines Landes. Ich befüllte einen Zettelkasten der besonderen Art – mit Unbekanntem, Überraschendem, Verborgenem.

Paneum in Asten: Brot als Gesamtkunstwerk
Die Welt rund um mich betrachtete ich wie ein Gemälde, achtete auf die Schattierungen der Gedanken, und warf einen Blick hinter den Horizont von Geschichten. Wie ein Schmetterlingsjäger sammelte ich Beiläufigkeiten, Worte, Gesten. Aus all dem ergaben sich Bilder, die sich zu einer Welt neuen Seins zusammensetzten. Aus der Vielfalt der Unterschiedlichkeiten erschloss sich mir die Seele eines Landes: Die des Tierpräparators Höller, in dessen Dachboden Thomas Bernhard seinen Roman „Korrektur“ schrieb, die der kapriziösen Holzkünstlerin Annerose R., die mit der Kettensäge Puppen schnitzt, die des Bäckermeisters, der eine Wunderkammer voll mit Brotkunstwerken besitzt, die des Riesen, der so groß war, dass er die Welt zu seinen Füßen nicht mehr sah, die der Frau, die auf ihrer Toilette ein Schiffsmuseum betreibt und über den Sinn des Scheiterns nachdenkt, die des Lehrers, dessen Name zur Vokabel wurde und der lateinische Verse in oberösterreichische Mundart übertrug, und die des Linzer Dom-Eremiten, der sich zu meiner großen Verwunderung als der Autor selbst, also ich, entpuppte.

Michael Schottenberg: „Oberösterreich für Entdecker“ aus der Serie „Schotti to go“ Amalthea. 240 Seiten. 25 Euro
„Alter ist ein Geschenk, wenn man nicht vergessen hat, was Anfangen heißt“, sagt der Philosoph Martin Buber. Wie immer am Beginn einer Reise war ich aufgeregt und fühlte mich jung. Oberösterreich zu bereisen, heißt, seine Bewohner verstehen und lieben zu lernen. Wahrscheinlich ist es das, das mich antreibt und wonach ich mich sehne: das Herzklopfen. Ich wollte ein Buch über ein Land schreiben. Ich schrieb eines über Menschen.
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