
Marrakesch bis Fès: Vier Städte, vier Versionen von Marokko
Verschiedene Dynastien, vier ehemalige Königsstädte. Märkte, Mosaike und Moscheen haben sie alle. Und doch hat jede der Städte ihren ganz eigenen Charakter. Zu Besuch in Fès, Marrakesch, Meknès und Rabat.
Jede marokkanische Stadt hat zwei Gesichter. Ein junges mit Hirngespinsten wie Shopping Malls und Klimaanlagen. Das ist die Neustadt. Das alte Gesicht jeder Stadt ist die Medina. Dorthin kommen die Menschen zum Handeln, Beten und Teetrinken. Marokko wurde während seiner langen Geschichte von verschiedenen Dynastien regiert und die Hauptstädte wechselten sich ab. Und jede der vier Königsstädte erzählt eine ganz eigene Geschichte.
Marrakesch: die Quirlige
Marrakesch erschlägt einen, aber auf die gute Art. Es riecht nach Gewürzen und Lammfleisch, nach Pferdedung und Schweißarbeiten. Durch die engen Straßen quetschen sich Touristen (nichts schönzureden, Geheimtipp ist Marrakesch keiner), Mopeds und Esel. Auf Rooftop-Bars, die eigentlich kleine Kaffeehäuser auf den Flachdächern niedriger Häuser sind, wird Minztee und Orangensaft serviert. Unten im Souk muss man aufpassen, dass man nicht verloren geht. Dafür ist Abdul da, der mit militärischer Strenge seine Urlaubergruppen durch das mittelalterliche Labyrinth treibt. Nicht, ohne immer wieder stehen zu bleiben, sich bei einem Händler nach der Familie zu erkundigen, bei einem anderen nach den neuesten Hausschuhen (Babuschen) und in der nächsten Gasse die Lehrlinge zu grüßen, die Fußbälle nähen. Seine Erzählungen beginnt Abdul oft mit dem Satz: „Es war einmal in Marokko ...“
Zu den neuen Folgen des KURIER Reise Podcast "Stadt.Land.Meer".

Abdulhak war früher Lehrer und weiß alles über Paläste, Koranschulen, alte Tore und Inschriften.
©Lea MoserMarrakesch erzählt sich sowieso selbst als Märchen: Am Gauklerplatz Djemaa el Fna trifft man Wahrsagerinnen, Geschichtenerzähler, Zauberer und Schlangenbeschwörer. Hier hört man Musik, da die Muezzine zum Abendgebet rufen. In den 1970er-Jahren zog Marrakesch viele Künstler an, etwa Yves Saint Laurent oder die Rolling Stones. Heute sind es die Touristen, für die man allerlei Klamauk aufführt. Wer tiefer eintauchen will, muss weiter fahren.
Fès: die Alte
Das Gassenlabyrinth kennt man schon aus Marrakesch. Doch in Fès, der ältesten der Königsstädte, bekommt die Reizüberflutung eine neue Qualität. „Von oben sieht diese Stadt aus, als wäre sie tot“, sagt Abdul. „Doch unten findet man eine Ameisenwelt.“ Eine Welt aus grob geschätzt über neuntausend Gassen und Sackgassen (enger noch als in Marrakesch), fünfzigtausend Kunsthandwerker, fünfundsiebzigtausend Geschäfte; manche nicht größer als sechs Quadratmeter.
Auf dem Place Seffarine reparieren Kupferschmiede, begleitet von klopfender Kakofonie, Geschirr. Je näher man dem Gerberviertel kommt, desto übler wird der Gestank. Verkäufer reichen frische Minzzweige, die man sich als Atemmaske vor die Nase presst. Die Männer, die in der Hitze knietief in den Farb- und Gerbbecken stehen, ertragen den Gestank, während Touristen von Balkonen die schwere Arbeit beobachten. Sightseeing kippt in Voyeurismus, die Besucher scheint das nicht zu stören, jeder will das Foto von den bunten Becken.

Trotz Gestank ein beliebtes Fotomotiv: die Gerberei
©Lea MoserWer etwas zu besprechen hat, macht das in Marokko bei einem Gläschen Tee, dem „Whisky Marocain“. Hamid und seine Frau Nizha wohnen mitten in der Altstadt von Fès und öffnen die Tür zu ihrer Wohnung. Die beiden sind seit 45 Jahren verheiratet, erzählen sie, und zeigen stolz auf das Hochzeitsfoto, das gerahmt an der Wand hängt. Dann bereitet Hamid den Tee zu. Er reinigt die Grünteeblätter mit heißem Wasser, klopft grobe Stücke aus einem Zuckerhut und erhitzt den Tee ein zweites Mal.

Hamid und seine Frau Nizha laden in ihr Haus und kochen traditionellen Minztee.
©Lea Moser„Der Tee muss beim Abgießen einen weißen Turban haben“, erklärt er, also weißen Schaum. Hamid ist hoch konzentriert, als er den Tee in ausladenden Bewegungen in die Gläser mit frischen Minzblättern gießt. Nizha spricht wenig und lächelt viel. Pantomimisch erklärt sie ihr Rezept für die süßen Gazellenhörnchen, die sie auf einem Silbertablett serviert.

Marokkanischer Minztee wird aus frischer Minze und Grüntee gekocht. Traditionell ist er sehr süß.
©Lea MoserDann holt Hamid eine Darbuka, wärmt das Trommelfell am Gaskocher und beginnt zu spielen. „Wenn ich Musik mache, erinnere ich mich an alte Zeiten“, sagt er.
Genau wie Hamid ist auch Fès: alt, ja – aber lebensfroh wie ein Jugendlicher.
Info
Anreise
Direktflug von Wien nach Marrakesch, etwa mit austrian.com. CO2-Kompensation via atmosfair.de: 33 Euro.
Rundreise
GTA Touristik hat eine Rundreise zu allen vier Königsstädten im Programm: „Marokko. Von den Königstädten zur Straße der Kasbahs“, acht Tage, ab 1.499 Euro p. P. inkl. Flug; Termine von Jänner bis Mai und im September und Oktober 2026. gta.at
Literaturtipp
Große Leseempfehlung, für alle, die Marokko auch literarisch erfahren wollen: „Die Zivilisation, Mutter!“ von Driss Chraïbi. Das Buch erzählt von den unterdrückten Frauen und Müttern in Marokko; märchenhaft, sprudelnd vor Lebensfreude und tief berührend.
Auskunft
visitmorocco.com
Meknès: die Unbekannte
Vor Meknès ist die Landschaft toskanisch. Das liegt an den Römern, die sich hier niederließen und Oliven, Zypressen, Wein und Granatäpfel mitbrachten. Meknès selbst nennt Abdul die „Stadt der Tore und Mauern“. Die Jahrhunderte purzeln durcheinander. Nur Abdul behält den Überblick, wer hier wann herrschte, was baute und wo welche Monumente zu finden sind. Im Schnelldurchlauf: das Mausoleum von Moulay Ismail (mit vier barocken Standuhren, geschenkt von Sonnenkönig Ludwig XIV.), das Haupttor „Bab Mansour“ und die lange Stadtmauer, in die angeblich ein besonders brutaler Herrscher Sklaven einmauern hat lassen. Meknès fühlt sich insgesamt echter an; mehr Risse und weniger Bühnenbild.

Mèknes wird die "Stadt der Tore und Mauern" gennant. Eindrucksvoll ist das Bab Mansour.
©Lea MoserRabat: die Aufgeräumte
In der Hauptstadt Rabat residiert der König bis heute. Die Stadt ist ruhiger und königlich herausgeputzt. Es gibt ein feines Diplomatenviertel, moderne Architektur und breite Tulpenbaumalleen. Die königliche Garde bewacht den Königspalast und das aus Marmor gebaute Mausoleum von Mohammed V. – dem Großvater des amtierenden Königs.

Das Mausoleum von Mohammed V. – dem Großvater des amtierenden Königs. Es ist aus weißem Marmor.
©Getty Images/Natalia Babok/istockphotoGanz anders als die sonstigen Altstädte wirkt die Kasbah des Oudaïas. In ihrem Innenleben ist am frühen Abend der Alltag gedrosselt, die Fassaden weiß und die Türen blau.
Rabat ist so viel leiser als die anderen Städte, dass man sich wieder nach buntem Chaos sehnt. Und wer dazwischen wieder Ruhe braucht, geht irgendwo einen Minztee trinken.
Kommentare