
Madeira: Die letzten Korbflechter auf der portugiesischen Insel
Das Handwerk des Korbflechtens war einst ein ganzer Industriezweig auf der portugiesischen Insel Madeira, heute können es nur noch wenige. Ihre Unikate sind zu Luxusprodukten geworden.
In einem Korbschlitten die steilen Straßen von Funchal hinunterkurven gehört für viele Menschen zu einem Muss bei einem Besuch auf der portugiesischen Insel Madeira. Womit heute Touristen transportiert werden, fuhr einst die wohlhabende Bevölkerung ins Zentrum der Hauptstadt.
Traditionellerweise sind die Schlitten von Monte, dem höhergelegenen Stadtviertel, nach alter Korbflechttechnik aus Weidenruten gemacht. Einem Handwerk, das um 1850 zu einer Industrie auf der Insel wurde.
Einem Handwerk, das heute vor dem Aussterben steht. Catarina Jesus ist die einzige Frau auf Madeira, die es ausübt. Sonst sind da noch etwa fünfzehn Männer, alte Männer.

Früher fuhr die wohlhabende Bevölkerung mit einem Korbschlitten ins Zentrum der Hauptstadt Funchal. Heute ist so eine Fahrt ein Spaß für Touristen.
©miguelmoniz/visitmadeira„Sie sind alle schon in Pension. Ich bin mit fünfundvierzig Jahren die Jüngste“, erzählt sie in ihrem Atelier in Funchal. Vor der Tür hat sie eine Flechtweide gepflanzt. Für Demonstrationszwecke. Obwohl Weiden in Teilen der Insel in Massen wachsen, sind Weidenruten aus Madeira zum raren Gut geworden – und zum teuren. „Kaum jemand tut sich mehr die Arbeit an, sie weiterzuverarbeiten. Alles passiert händisch. Du musst sie zunächst abschneiden, dann kochen und jede Rute einzeln schälen“, erzählt die Madeirenserin.

Das „Nonnental“ Curral das Freiras hat sich zwischen den Berghängen eingenistet und ist einer der wenigen Inselorte, der vom Meer aus nicht sichtbar ist.
©Marlene PenzEingekesselt im Nonnental
In diesen Tagen wird die frische Ernte eingefahren. Der Bauer, von dem sie ihr Arbeitsmaterial bezieht, ist einer der Letzten auf der Insel. Sein Name ist Manuel de Jesus Figueira. Er lebt in Curral das Freiras, dem sogenannten „Nonnental“, neunzehn Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Nur ein Tunnel führt in das von den höchsten Bergen der Insel eingekesselte Tal – und auch wieder hinaus.
Weil der Ort einer der wenigen ist, der vom Meer aus nicht sichtbar ist, haben die Nonnen des Klosters Santa Klara im 16. Jahrhundert einen idealen Zufluchtsort gefunden, um sich vor Piratenangriffen auf Funchal zu verstecken. Vom Aussichtspunkt Eira do Serrado auf 1.095 Metern Höhe hat man einen wunderbaren Ausblick auf das Tal.

Das Resultat eines Lebens
Manuel lebt hier sein ganzes Leben lang – sein 71-jähriges Leben. Weil immer wieder an seinem Alter gezweifelt wird, zückt er in gewohnter Manier seinen Personalausweis und lacht. „Das ist das Resultat des Lebens als Bauer und Korbflechter“, meint er auf Portugiesisch. Mit zwölf Jahren hat er das Handwerk von seinem Onkel gelernt – damals war es ein weitverbreitetes und lohnendes. Heute ist Manuel einer der Letzten, bei dem man etwa einen Obstkorb aus einer Hand bekommt, wo alle Arbeitsschritte an Ort und Stelle passieren – sozusagen vom Feld auf den Tisch.
Er zeigt seine Arbeiten, hebt einen großen zylinderförmigen Korb auf seine Schultern. Damit habe man früher die Ernte transportiert – Bananen etwa, Trauben für den berühmten Madeira-Wein oder ganz typisch für das Nonnental: Edelkastanien. Jedes Jahr zu Allerheiligen wird das Kastanienfest gefeiert, Besucher können verschiedene Sorten probieren, Liköre und Kuchen verkosten.
Manuel benutzt die Körbe noch immer, wenn er die Kartoffeln setzt, wie er sagt, aber damit sei er heutzutage eine Ausnahme. „Weil sie da sind, nehme ich sie“, so der rüstige Bauer. Jetzt dienen sie vor allem Dekozwecken – am berühmten Markt Mercado dos Lavradores in Funchal ist darin das Obst drapiert, in Hotels oder Restaurants werden sie zu Tischen umfunktioniert. „Da wird dann eine Glasplatte draufgegeben, das sieht man immer öfter“, erklärt er. Für so ein Stück braucht er etwa vier Stunden. Er setzt sich zu Demonstrationszwecken hin und verliert sich schnell in der Arbeit. Er steckt eine geschälte Weidenrute nach der anderen geübt in die bereits fertige Grundplatte, dreht, verwebt, nimmt die nächste Rute. Zügig wächst der zwischen den Beinen eingeklemmte Korb. „Das ist keine Arbeit für Frauen“, sagt er und zeigt seine rauen, von der Arbeit gezeichneten Hände.

„Es gibt so viele Techniken und Tricks, die ich nicht kenne."
Einen Satz, den Catarina nicht mehr hören kann. Vor sieben Jahren hat sie das Handwerk erst für sich entdeckt und die Technik gelernt. „Ich war jeden Tag bei meinem Lehrer, habe all sein Wissen aufgesaugt. Das Korbflechten ist für mich mit nichts vergleichbar, es hat viel mit im Momentsein zu tun und mit Achtsamkeit“, versucht sie sich in einer Beschreibung, warum es zu ihrer Berufung wurde. „Es gibt so viele Techniken und Tricks, die ich nicht kenne. Ich will sie alle lernen“, so die 45-Jährige, deren Hände voller Wunden und Blasen sind. Doch sie hat das Gefühl, ihr läuft die Zeit davon. Ihr damaliger Lehrer leidet an einer schweren Demenz. In dem Bestreben, mehr zu lernen, ist sie zu anderen Korbflechtern auf der etwa 256.000 Einwohner zählenden Insel gefahren. Oft musste sie erfolglos den Rückweg antreten.
Anreise Direktflüge von Wien nach Funchal z. B. mit Austrian und Wizz Air. CO2-Kompensation via atmosfair.de: 34 €
741 Quadratkilometer ist die Insel groß und zählt knapp 260.000 Einwohner. Typisch: die grüne, zerklüftete Landschaft, Steilfelsen und Steinstrände.
visitmadeira.com/de
Levada-Wanderungen Entlang der Bewässerungskanäle gibt es ein Wandernetz. Tipp: Levada Nova und Levada do Moinho.
Besuch im Feenwald Der Lorbeerwald ist Weltnaturerbe. Beeindruckend sind die knorrigen Bäume im Gebiet Fanal.
Botanischer Garten Der Garten in Funchal beherbergt mehr als 2.000 Pflanzenarten.
Weidenruten als rares Gut
„Sie hatten kein Interesse, mir etwas beizubringen. ,Geh zurück zu deinen Kindern, das ist nichts für eine Frau‘, war oft die Antwort“, bedauert sie. Auf Unverständnis sei sie auch gestoßen, wenn sie erzählt hat, dass sie Taschen und Ohrringe macht – „dabei verkauft sich nichts so gut wie das“. So wie es keinen Korbflechter ein zweites Mal gibt, gibt es auch kein Stück ein zweites Mal. „Alle sind Unikate. Etwas Einzigartiges und so Langlebiges herzustellen in der heutigen globalisierten Welt, treibt mich an“, sagt sie. Sie benutzt ausschließlich Weidenruten aus Madeira, obwohl importierte wesentlich billiger wären. „Für ein Kilo habe ich im Vorjahr etwa fünfzehn Euro bezahlt, hätte ich kolumbianische Ware genommen, wären es drei Euro gewesen“, führt sie aus, um fassbar zu machen, dass madeirensische Weidenruten zur Rarität geworden sind.
Diese Raritäten liefert Manuel auch an die Hersteller der Korbschlitten. Wer das in Zukunft machen wird, kann auch er nicht sagen. Viele, die dieses Geschäft übernehmen könnten, gibt es nicht mehr. Manuel fürchtet, dass mit seiner Generation, die Tradition stirbt. Catarina ist der Gegenbeweis und stemmt sich mit Händen und Füßen dagegen.
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