
Geheimtipp La Gomera: Natur, Geschichte und Ruhe auf den Kanaren
Die Insel, die Kolumbus prägte: La Gomera lockt mit Mythen, Nebelwald und Naturspektakel – perfekt für Entdecker.
Überblick
Tägliche Direktflüge von Wien nach Teneriffa-Süd bieten etwa Austrian und Ryanair, zeitlich gut passend zur anschließenden Überfahrt mit einer Highspeed-Fähre (ca. 50 Minuten) nach La Gomera („Naviera Armas“ oder „Fred. Olsen“, wo man sein Gepäck schon vor dem Boarding abgeben kann).
Informationen über La Gomera: spain.info und lagomera.travel.
Auf der Insel, von der einst Kolumbus Richtung Westen segelte, werden Geschichte und Tradition bis heute lebendig gehalten. Dazu Brandung, Blüten, schwarze Strände. Absolut einzigartig und faszinierend auf La Gomera ist aber der märchenhafte Nebelwald. Geschrieben von Manfred Ruthner.
Im Morgendunst hebt sich auf der Nachbarinsel Teneriffa der Teide vom Horizont ab, auf der Terrasse vor dem Hotel-Zimmer zwitschern Vögel zwischen üppig blühenden Stauden ihr Morgenlied. Das Hotel liegt nur wenige Kilometer von der Hauptstadt San Sebastián entfernt, wo gestern Abend die Fähre aus Teneriffa im Hafen angelegt hat – genau dort, wo auch Christoph Kolumbus 1492 bei seiner ersten Entdeckungsreise Halt machte. In der Casa de La Aguada, einem kürzlich wiedereröffneten Museum im Zentrum der Stadt, wird jener Brunnen gezeigt, aus dem der berühmte Seefahrer Wasser geschöpft haben soll, ehe er mit seinen drei Karavellen in See stach.

Der Roque de Agando, ein Vulkanschlot aus erstarrtem Magma, ragt aus dem Nebelwald
Hier startet Meike, eine gebürtige Deutsche, die vor 35 Jahren La Gomera zu ihrer Heimat gemacht hat, ihre Führung zu den Sehenswürdigkeiten der Insel. Zunächst geht es zur Iglesia de La Asunción (Kirche Maria Himmelfahrt) mit einem Mittelschiff aus dem 15. Jh. und kunstvoll verzierten Holzvertäfelungen.
„In dieser Kirche soll Christoph Kolumbus gebetet haben, bevor er in Richtung Neue Welt lossegelte.“ Vor dem nahen Torre del Conde (Turm des Grafen), dem ältesten Bauwerk auf La Gomera, ist hautnah zu erleben, wie auf dieser Insel historische Traditionen bis in die Gegenwart gepflegt werden.

Die Insel La Gomera liegt wie eine Torte im Atlantik. Vom Mirador de Abrante, einem Hügel an der Ostküste, lässt sich ein gutes Stück davon überblicken.
Pfeif’ drauf!
Kico Correa führt die Pfeifsprache El Silbo vor, mit der sich die hiesigen Einwohner vor Jahrhunderten über die tiefen Schluchten und Täler hinweg verständigt haben. Sie ist immaterielles UNESCO Weltkulturerbe und noch heute Pflichtgegenstand an den Schulen. „Bei ruhiger Umgebung und windstillem Wetter sind Pfeif-Gespräche über zwei bis drei Kilometer möglich. 2009 gelang sogar eine Verständigung per El Silbo über zehn Kilometer und brachte einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde.“ Kico Correa kann so gut wie alles aus seinem Wortschatz durch das Pfeifen ausdrücken und ist auch als Pfeif-Lehrer tätig.

Bei Bootstouren zu erleben: Delphine mit spektakulären Darbietungen.
©Getty Images/iStockphoto/David O'Brien/iStockphotoBei der Fahrt über La Gomera wird einem eindrücklich bewusst, wie wichtig El Silbo in Zeiten, in denen es keine Telefonie oder gar Smartphones gegeben hat, gewesen sein muss. Die fast kreisrunde Insel ist stark zerklüftet, vom zentralen Hochplateau laufen tief eingeschnittene Täler bis zur Küste. Dazwischen liegen steile Hänge, das Straßennetz ist dementsprechend in unzähligen Steigungen und Serpentinen angelegt.
Auf der gut ausgebauten Strecke von San Sebastian nach Norden sind nur wenige Fahrzeuge unterwegs, ungestört kann man die reiche Vegetation bestaunen. Auf den Terrassen rund um das Dorf Hermigua breiten sich Bananenplantagen aus, dazwischen ragen hohe Dattelpalmen hervor; gemeinsam bilden sie ein fruchtbares grünes Tal.

Christoph Kolumbus soll vor seiner Abreise nach Amerika im Zentrum der Hauptstadt San Sebastián in der Kirche Nuestra Señora de la Asunción gebetet haben
©Getty Images/Unaihuiziphotography/istockphotoHat man die weißen Häuser entlang der Hauptstraße passiert, gelangt man zu einem weiten Steinstrand, das Baden ist hier aber aufgrund der ständigen Brandung zu gefährlich. Die mächtigen Betonpfeiler, die aus dem Wasser ragen, sind ein Relikt aus der ertragreichen Zeit des Bananenbooms von 1900 bis 1950. Da das Straßennetz damals noch nicht so gut ausgebaut war, wurde ein Schiffsanleger errichtet, den man aber schließlich wieder aufgab und der jetzt als Ruine von den Wellen umspült wird. Im Ortskern von Agulo, dem Nachbarort von Hermigua, zeugen zweistöckige Bürgerhäuser aus dem 19. Jahrhundert von der damaligen wirtschaftlichen Blütezeit, besonders beeindruckend sind die Fassaden mit Fensterläden und aufwendigen Holzarbeiten.

Im Küstenort Valle Gran Rey setzte in den 1960er-Jahren der Tourismus ein, als viele Urlauber aus Deutschland den Ort zu ihrer neuen Heimat machten
©Getty Images/underworld111/istockphotoEin kühles Herz
Meike lenkt das Auto routiniert über die nächste kurvenreiche Strecke hinauf ins Zentrum der Insel. „Wir besuchen jetzt das Herzstück von La Gomera, den Nationalpark Garajonay. Wir werden eine kleine Wanderung machen, bitte unbedingt einen Regenschutz mitnehmen!“

Mit Flechten und Moosen bewachsene Lorbeerbäume im Nebelwald
©Manfred RuthnerHier oben, auf rund tausend Metern Höhe ist es wesentlich kühler – an der Küste waren es noch über 20 °C, jetzt sind es um 10 °C weniger. Auf dem Parkplatz am Raso de Bruma, was soviel wie „nebeliger Sattel“ bedeutet, stehen nur einige wenige Autos. Schon in den ersten Minuten der Wanderung durch die weitgehend unberührte Natur ist man von der zauberhaften Stimmung völlig eingenommen. Nebelschwaden ziehen immer wieder durch den Lorbeerwald, die bis zu 20 Meter hohen knorrigen Stämme und Äste sind von Moos und zitternden Bartflechten umschlungen. Finden Sonnenstrahlen ihren Weg durch den Nebel, leuchtet der Bewuchs in schillernden Grüntönen. Man fühlt sich an eine Illustration in einem Märchenbuch erinnert – huschte ein Zwerg durch die Szenerie, würde es einen nicht wundern.

herrlich blühende Zuckerbüsche (Protea)
©Manfred RuthnerDie breiten Wege lassen sich gemütlich begehen, leichte Steigungen sind mit liegenden Hölzern zu Stufen ausgebaut. Schon vor Jahrhunderten, als das Leben auf La Gomera noch ohne Straßenverbindungen funktionieren musste, wurden diese Wanderwege als dichtes Wegenetz angelegt. Der immergrüne Lorbeerwald ist ein Relikt aus dem Tertiär, durch die isolierte Lage im Meer überdauerte die Vegetation auf La Gomera die Kaltzeiten. Für die nötige Feuchtigkeit sorgen die Passatwinde und die dazugehörigen dichten Wolken, die die bewaldeten Kuppen der Hochfläche mit Nebel überziehen. Die winzigen Wassertropfen, die an Blättern, Moosen und Flechten hängen bleiben, dienen als Feuchtigkeitsspender.
Auch für die durstigen Menschen ist gesorgt – Meike zeigt auf einen mächtigen Baumstamm, aus dem sich Wasser ergießt. „Es ist trinkbar, Förster haben eine Quelle in der Nähe angezapft und eine dünne Leitung in den Baumstamm gelegt!“ Tatsächlich, es ist herrlich kühl und erfrischend.

Die Farbe der Keramiken stammt aus rotem Steinmehl der Region.
©Manfred RuthnerFarbenfrohe Gipfelfreuden
Auch der Aufstieg zum höchsten Punkt der Insel, zum 1.487 m hohen Alto de Garajonay, führt über einen bestens angelegten Wanderweg, vorbei an Stauden mit prachtvollen Blüten in allen Farben und zwei Meter hohen, gelb blühenden Gänsedisteln, die mit ihren Blättern wie Riesenlöwenzahn aussehen. Nach einer guten halben Stunde Gehzeit ist der Gipfel erreicht. Das Wetter ist ideal, keine Wolke trübt den fantastischen Rundblick über ganz La Gomera und man kann gut erkennen, wie kompakt diese Insel ist. Wenn die Sonne scheint, dann zeigt sich die Hochebene als leuchtendes Blütenmeer und La Gomera als ein von der Natur geschaffener botanischer Garten.
Kuriose Fakten. Wussten Sie, dass ...
... „Silbo Gomero“ ist eine einzigartige Pfeifsprache, die seit Tausenden von Jahren auf La Gomera praktiziert wird.
... La Gomera ist eine Arche der Artenvielfalt der Tiere. Auf der Insel finden sich 4182 Tierarten, wovon 1021 endemisch sind.
Etwas abseits des Nationalparks ragt aus dem Hochplateau ein mächtiger Bergklotz empor, La Fortaleza, auch Tafelberg genannt, mit rund 500 Meter hohen, fast senkrecht abfallenden Felswänden. Die Besteigung ist etwas anspruchsvoller als die Wanderung im Nationalpark, der einzige Weg führt über steinerne Stufen und einen schmalen Felsgrat auf das Plateau. Doch der Blick über die Westküste entschädigt für alle Mühe.
Zur Stärkung wird in einem Restaurant am Fuße des Tafelbergs Potaje de Berros serviert. Der Brunnenkresse-Eintopf ist eine traditionelle Spezialität, die die Gomeros sehr schätzen, und wird mit Gofio gereicht, feinem Mehl aus geröstetem Mais, das zum Andicken dient.

San Sebastian
©Getty Images / Maxi Perez/istockphotoDer Süden der Insel ist eher trocken. An den Hängen rund um Alajeró gedeihen noch Dattelpalmen, weiter unten ist der Playa de Santiago von kargen Felsküsten umgeben. Das Baden an dem langen schwarzen Sand- und Kiesstrand ist eine willkommenen Abwechslung nach den schweißtreibenden Wanderungen. Zum Baden geeignete Strände sind auf La Gomera aufgrund der Brandung eher rar, für ein Sonnenbad reicht es aber immer. Das gilt auch für Valle Gran Rey ganz im Westen. Dort hielt in den 1960er-Jahren der Tourismus in La Gomera Einzug, als Hippies hier ihren Garten Eden zu entdecken vermeinten.
Ein bisschen etwas von der damaligen Atmosphäre ist auch heute noch zu spüren. Wenn sich bei Sonnenuntergang ehemalige Blumenkinder am Strand von La Playa treffen, wenn Wellenreiter in der tosenden Brandung ihr Können demonstrieren, wenn die Menschen am Ufer kollektiv das Versinken des roten Balles im Meer beklatschen. Wer möchte da nicht auch Gomero sein?
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