Geheimtipp in Polen: Der letzte unregulierte Fluss Europas

Moorwanderer im Niedermoorgebiet des Biebrza Nationalparks mit Wanderstöcken
Abseits der Zivilisation gibt es im polnischen Biebrza Nationalpark bei Moorwanderungen rare Voglarten zu beobachten.

Platsch-platsch, platsch-platsch, rhythmisch klatschen die Paddelblätter auf das Wasser. Zügig gleitet das Zwei-Personen-Kajak über die offenen Mäander der Biebrza. Im ruhig fließenden Wasser spiegelt sich zu beiden Seiten des Flusses das Schilf so ebenmäßig, als stünde es Kopf. Es zirpt und zwitschert – ansonsten Stille. Keine Siedlung, keine Stromleitung, keinerlei Zivilisation weit und breit.

Kajakfahrer im Amazonas Polens über die offenen Mäander der Biebrza

Kajakfahren über den letzten unregulierten Fluss Europas: die Biebrza

Die Biebrza (sprich: „Bieabscha“), Namensgeberin des größten Nationalparks Polens (592 Quadratkilometer) im Nordosten des Landes, ist der letzte Fluss Europas, der auf seinen zweihundertfünfzig Kilometern von der Quelle bis zur Mündung völlig unreguliert ist. Mit zahlreichen Verzweigungen und Altarmen bildet dieser „Amazonas Polens“ das größte verbliebene Niedermoorgebiet Zentral- und Westeuropas

Natur- und Klimaschutz im Moor

Regelmäßige Überschwemmungen sorg(t)en für ein einzigartiges, für den Klimaschutz bedeutsames Ökosystem, der Torfboden ist stellenweise bis zu sechs Meter dick. Die streng geschützte Feuchtwildnis (ein Straßenbauvorhaben Anfang der 2000er-Jahre konnte gottlob abgewendet werden) ist Rückzugsgebiet für rund hundertachtzig, teils rare Vogelarten. Nicht nur Ornithologen freuen sich über Sichtungen von Doppelschnepfe (schnellster Zugvogel), Tüpfelsumpfhuhn, Schelladler, Wachtelkönig oder Kampfläufer, deren Männchen bizarre Balztänze aufführen. Zu ebener Erd’ tummeln sich Wölfe, Wildpferde, Wisente, Biber, Otter, Luchse, Elche und vieles mehr.

Pferd auf einer Wiese in Polen

Im Biebrza-Nationalpark lassen sich seltene Vogelarten, aber auch Wildpferde beobachten

Was ein Moor-Wanderer braucht

Naturlehrpfade laden zu ungewohnten Abenteuern ein. Vor dem Abmarsch lässt Guide Paweł Szyszko oberschenkelhohe Gummistiefel in den Rucksack packen – und eine Flasche Gelsenspray kreisen. Dann geht es durch erstaunlich diverse Landschaftsformen, bis hin zu Sanddünen. Dann werden die Wanderschuhe gegen Gummistiefel getauscht, Paweł sucht gerade Äste am Wegesrand und verteilt diese. „Das braucht ein Moor-Wanderer!“ Plötzlich schlörp – und der Guide vorneweg versinkt bis zu den Knien im schwarzen, schmatzenden Morast. Er saugt nahezu die Gummistiefel von den Füßen.

  1. Osowiec Festung im Dorf Osowiec-Twierdza (nahe Goniądz): vier Forts von Zar Alexander III., zwei davon können individuell besichtigt werden
  2. Zagroda Kuwasy rustikales Gästehaus am Rand des Nationalparks. Blockhaus-Charme, gute Küche
  3. Poland Soul Travel  ist auf „Seelenurlaub“ abseits der Touristenrouten spezialisiert.
  4. Auskunft: https://www.polen.travel/de/

Nun sind die Wanderstöcke überaus hilfreich: Zum Sondieren der Moor-Tiefe – und zum Halten der Balance. Gar nicht einfach, doch das Sturz-Opfer fällt weich in die Suhle. Eine Moorwanderung dieser naturbelassenen Art ist lustige Schwerarbeit, darf aber nur gemeinsam mit ortskundigem Guide in Angriff genommen werden. Nie ohne Mückenschutz! 

Kommentare