
Mechelen: An die Original-Schauplätze der Alten Meister
„Flämische Meister in situ“ – Kunstwerke vor Ort, wo Peter Paul Rubens, Glockenspiel und feministische Bierbrauerinnen aufeinandertreffen. Eine Städtereise nach Belgien, die auf jede Bucketlist gehört.
Mechelen hat sich gemausert. Die noch in den 90er-Jahren hässlichste Ecke Belgiens mit hoher Kriminalitätsrate ist jetzt eine der schönsten kulturellen Perlen: Mit dem Klang ihrer Carillons ist sie die Welthauptstadt der Glockenspielmusik und mit mehr als dreihundert denkmalgeschützten Gebäuden quasi ein großes Freilichtmuseum im Herzen Flanderns – auf halber Strecke zwischen Brüssel und Antwerpen.
Denn ab dem 15. Jahrhundert stand die Region mehr als zweihundertfünfzig Jahre an der Spitze der Kunstszene Westeuropas und war eine Inspirationsquelle für die damals wichtigsten Strömungen: altniederländische Malerei, Renaissance und Barock. Künstler wie Jan van Eyck, Pieter Bruegel der Ältere und ihre Zeitgenossen verkörpern Flanderns Einfluss. Viele Werke alter Meister wie Peter Paul Rubens (1577-1640) und Anthonis Van Dyck (1599-1641), aber auch der flämischen Surrealisten und Expressionisten sind dort in ihrem ursprünglichen Umfeld zu erleben, für das sie vor Jahrhunderten geschaffen wurden.
Alte Kunst neu erleben
Beim Projekt „Flämische Meister in situ“ geht es nicht nur ums Anschauen, sondern um ein ganz neues Erleben: Auf speziell entwickelten Routen sind die Geschichten hinter großen Kunstwerken in gut hundert Orten wie Brügge, Gent und Antwerpen an Originalschauplätzen unmittelbar und intensiv zu entdecken (für einen Überblick über alle neun Touren siehe hier). Nur führt diese Kunstreise weniger in Museen, sondern in Kirchen, Kapellen, Klöster, Beginenhöfe, Schlösser oder Patrizierhäuser.
Das Flair: authentisch. Die Atmosphäre: andächtig, aber lebendig. Und das ohne Eintritt, ohne Warteschlange. Altäre erzählen Geschichten – zum Beispiel bei zwei echten Rubens-Gemälden in Mechelen: In der gotischen St. Johanneskirche das Triptychon „Anbetung der Könige“ und in der frisch restaurierten Liebfrauenkirche aus dem 13. Jahrhundert „Der wundersame Fischfang“, ein Motiv der Hoffnung – damals wie heute.

Gemalt: „Die Anbetung der Könige“, Kirche St. Johannes.
©Werner RosenbergerLicht und Kirchen
Rubens, in Antwerpen gefördert und daheim, „bekam für den Auftrag der Fischverkäuferzunft 1.600 Gulden und reiste seinerzeit selbst in die Stadt, um sich den Altar-Standort und den Lichteinfall in der Kirche anzusehen“, sagt der Guide Marc Van Bets.
„Deshalb sind hier jetzt LED-Strahler installiert, die den gleichen Effekt erzeugen wie das natürliche Licht, das Rubens im Sinn hatte.“ Das monumentale Triptychon entging wie durch ein Wunder der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, als eine amerikanische Bombe 1944 einen Teil der Kirche in Schutt und Asche legte. Die Mitteltafel zeigt muskulöse Männer, die Fische einbringen. Es sind die Apostel, die erfolglos fischen, bis Jesus sie ermutigt, einen letzten Versuch zu unternehmen.
Info
Anreise: Klimafreundlich mit dem Nachtzug von Wien nach Brüssel, weiter mit dem
Zug nach Mechelen (25 Min.). oebb.at
Wohnen Martin’s Patershof Hotel, martinshotels.com
Essen
– Lam’eau: belgisch-französische Küche; auch vegetarisch, Terrasse am Ufer des Flusses Dijle, lameau.be
– De Vleeshalle: In der alten „Fleischhalle“ aus dem Jahr 1881 gilt das Prinzip „Shop-Taste-Meet“, devleeshalle.be
– Samstags auf dem Grote Markt: Krabbenbrötchen, Muscheln, Austern, Käse, Brotaufstriche
Auskunft
– visitflanders.com
– flemishmastersinsitu.com/de
– visit.mechelen.be
Nur einen Katzensprung von Mechelen entfernt liegt Rubens’ Landsitz in Elewijt, den er 1635 kaufte und im Stil der flämischen Renaissance umgestaltete. Was der Barock-Pionier für die Malerei war, war sein Schüler Lucas Faydherbe für die Bildhauerei. Aus seiner Hand stammen die Reliefbögen unter der spektakulären Kuppel der Basilika Hanswijk, die er ebenso gestaltete wie den botanischen Garten im Park neben der Kirche.
Meisterwerk der Holzschnitzkunst
Apropos: Bei der neuen zweistündigen Tour „Rubens in Stein“ kann man durch die Barockwelt wandern und via WhatsApp mit Lucas Faydherbe chatten über die drei Kirchen im Zentrum von Mechelen, in denen der Künstler und sein Lehrer Rubens gearbeitet haben: die St.-Rombouts-Kathedrale, die Kirche unserer Lieben Frau jenseits der Dijle und die Basilika Hanswijk, eine der ersten Kuppelkirchen in den einstigen südlichen Niederlanden (Online-Tickets ab 9. 9. über rubensinstein.be).
Ein Nonplusultra an Holzschnitzkunst – ein Meisterwerk von Theodoor Verhaegen – ist die monumentale Kanzel als Symbol für den Berg, auf dem Jesus predigte. Die emotionsgeladene Skulptur thematisiert die Geschichte der Reue über den Sündenfall. Der Gesichtsausdruck von Adam und Eva ist so realistisch, dass man fast Empathie mit dem bärtigen alten Mann Jahwe empfindet, der sie vertreibt.

Geschnitzt: Monumentale Kanzel, Basilika Hanswijk.
©Werner RosenbergerEintauchen in die Stadtgeschichte und die Renaissance kann man im Museum Hof van Busleyden. Im frisch renovierten Stadthaus mit eleganten Arkaden und Kreuzgang, einst kultureller Hotspot, ist viel zu erfahren über das Goldene Zeitalter und Margarete von Österreich, die in Mechelen lebte, regierte und der Stadt zu einer kulturellen Blüte verhalf, der man heute noch an jeder Ecke in der Altstadt begegnet.
Beethoven, Bier, Beginen
Hier war auch Ludwig van Beethovens Familie zu Hause, bevor sie sich in Bonn niederließ. Nicht, dass der Komponist jemals in Mechelen gewesen wäre. Er war erst drei Jahre alt, als sein flämischer Großvater starb, der in der Kathedrale St. Rombouts gesungen hatte. Und doch liegen hier seine Wurzeln. Deshalb in seinem Namen auch das flämische „van“ und nicht das deutsche „von“.
Einer der malerischsten Orte, ein Wohnviertel mit kleinen Höfen und der barocken Kirche in der Nonnenstraat ist der Große Beginenhof. Hier lebten fromme Frauen seit dem 13. Jahrhundert selbstbestimmt zwischen Glaube, Arbeit und Solidarität. Ohne Kloster, aber mit Gemeinschaftssinn. Die Beginen – manche nennen sie die ersten Feministinnen Europas – haben sogar Bier gebraut.

Von Italien inspiriert: die barocke Beginenhofkirche.
©Werner RosenbergerDiese Tradition führt bis heute die Brouwerij Het Anker am Geburtsort des berühmten Bieres „Gouden Carolus“ weiter. An einem Ort, wo Kunst, Geschichte und Alltag nahtlos ineinander übergehen. Und wo die Seele atmen darf – ganz in situ.
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