Alfred Pritz machte den Österreichern vor Jahrzehnten klar, dass seelische Nöte genauso Behandlung brauchen wir körperliche. Wie er die „österreichische Seele“ heute sieht.
Der „wagemutige“ Gründer der Sigmund Freud-Universität geht mit August in Pension. Er hat viele Kämpfe gewonnen.
KURIER: In den Achtzigerjahren hat uns der Psychiater Erwin Ringel die „österreichische Seele“ erklärt. Wer tut das eigentlich heute?
Alfred Pritz: Ringel hat den Menschen nahegebracht, wie das Seelenleben funktioniert. Aber mittlerweile gibt es viele Erklärer.
Hat sich die Seele seither verändert?
Die Seele selbst nicht. Aber es haben sich Akzente verschoben. Wir leben heute in einer narzisstischeren Kultur, als noch vor 40 Jahren, und sind selbstbezogener geworden. Durch die Sozialen Medien kann jeder und jede Narzissmus besser ausleben und plötzlich berühmt sein.
Sie sind Psychoanalytiker. Ist diese Methode denn noch up to date?
Mehr denn je. Sigmund Freud hat 1926 geschrieben: Dereinst wird die Psychoanalyse auch an Hochschulen gelehrt werden. Und wir tun das.
Aber ist das noch die Psychoanalyse Freuds, der alle möglichen sexuellen Störungen mit Träumen verknüpfte?
Nein, die Psychoanalyse hat sich weiterentwickelt. Die Methode ist bekannt dafür, lange zu dauern ...
...und teuer zu sein.
Ja. Aber mittlerweile sind Kurztherapien die häufigste Form der psychoanalytischen Anwendung.
Und wer braucht eine lange?
Derjenige, der es nötig hat, eine Weltreise in die Seele zu machen.
Was brauchen die Zeugen und Opfer-Angehörigen nach dem Grazer Amoklauf?
Sie bekommen jetzt eine Krisenbetreuung, und das ist auch richtig so. Das heißt, dass man ihnen einmal in erster Linie zuhört und da ist, damit die Einsamkeit in so einer schweren Situation gelindert wird – und auch die Fantasien dazu erträglicher werden. Bei manchen wird sich eine Therapie anschließen, bei den meisten wahrscheinlich nicht. Sie werden von sich aus diese Krise bewältigen können. Das braucht lange, ist aber nicht pathologisch.
Welche Gedanken sind Ihnen als Psychoanalytiker angesichts dieser Tat durch den Kopf gegangen?
Einerseits: Wie geht es Eltern und Verwandten der toten Kinder? Andererseits macht man sich Gedanken darüber, wie jemand so gefühllos sein kann.
Eine übersteigerte Form von Narzissmus?
Eine krasse pathologische Form, wie sie zum Glück selten vorkommt. Er hat sicher Kränkungen in der Schule erlebt – aber das haben wir alle. Das erklärt sein Verhalten nicht. Da war etwas in seinem Charakter, das auf die Dunkelheit ausgerichtet ist.
Gibt es eine Vorsorge gegen solche Wahnsinnstaten?
Grundsätzlich spielt die Zugewandtheit von Lehrenden eine wichtige Rolle. Es braucht wohl auch verstärkt unterstützende Hilfssysteme.
Sie arbeiteten am Beginn Ihrer Karriere lange am Ambulatorium der Gebietskrankenkasse und hatten viel Patientenkontakt. Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt?
Das war eine Entwicklungsstätte der modernen Psychotherapie in Österreich mit weltweiter Ausstrahlung. Damals herrschte ja noch die Meinung vor, Psychotherapie sei nur etwas für gebildete Leute. Wir haben das widerlegt.
Ist der Bedarf weiter gestiegen?
Der war auch damals schon hoch – und ein Motiv, warum das Psychotherapiegesetz entstanden ist: Dass die psychischen Nöte mindestens so wichtig sind wie die körperlichen Beeinträchtigungen.
Voriges Jahr wurde das Psychotherapiegesetz reformiert, die Ausbildung wird ab 2026 an die Unis übertragen. Gut oder schlecht?
Gut. Das Ziel ist Qualitätsverbesserung, aber akademisiert wurde es schon vor 20 Jahren an der Sigmund Freud-Universität. Wir waren die weltweit Ersten, die ein akademisches Studium für Psychotherapie entwickelt haben. Jetzt wird es verpflichtend. Das wertet den Beruf auf und ist auch für jene gut, die sich eine Ausbildung an einer Privatuni nicht leisten können.
Die Ausbildung ist ja per se teuer. Jeder Psychotherapeut hat viel Geld in seine Ausbildung investiert – und verdient erst gut, wenn er selbst Ausbildner ist. Ist das nicht pervers?
Nein, Psychotherapeuten mit genug Patienten verdienen auch sehr gut – gekoppelt mit einem interessanten Beruf, der nie langweilig wird.
An der Sigmund Freud-Universität kann man mittlerweile von Jus bis Medizin auch Anderes studieren. Was würden Sie rückblickend anders machen?
Wir waren ziemlich unerfahren, wie man eine Uni aufbaut. Es war extrem wagemutig. Wir haben auf unser Risiko zwei Häuser mit über 20.000 Quadratmetern gebaut und kriegen nach wie vor keinen Cent von der öffentlichen Hand.
Wie ist die Qualität? Es gibt ja immer wieder Gerüchte, dass es eine „Rich Kids“-Uni ist, wo man sich einen garantierten Abschluss kaufen kann, der bis zu 13.500 Euro pro Semester kostet.
Das ist je nach Fach unterschiedlich, die meisten kosten 7000 Euro pro Semester, Medizin aber tatsächlich 13.500. Wir gehen übrigens über an Interessenten.
Zum ausführlichen Gespräch mit Psychoanalytiker Alfredd Pritz
Klar, es gibt viele Rich Kids – und viele, die die Aufnahmsprüfung an der öffentlichen Meduni nicht schaffen.
Wir machen selbst eine Aufnahmsprüfung, die auch nicht ohne ist. Außerdem geben wir 500.000 Euro für eigene Stipendien aus.
Schleppen Sie auch Studenten mit, die an einer öffentlichen Uni scheitern würden?
Nein, das ist ein typisches Vorurteil gegenüber Privatuniversitäten. Es ist nicht leichter, aber vielleicht haben wir eine gute Pädagogik. Wir lassen nicht so leicht Jugendliche fallen, die sich zeitweise schwertun.
2022 gab es Aufregung, weil angeblich zahlreiche Standards im medizinischen Zweig nicht eingehalten wurden. Die Zulassung wurde vorübergehend widerrufen, jetzt wird mit dem Wiener Gesundheitsverbund kooperiert. Was hat man daraus gelernt? Vieles. Erstens, dass sich eine Behörde fundamental irren kann.
Natürlich nicht. Aber hier wurde mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Sogar das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass sich die Behörde fehlerhaft verhalten hat.
Es hat den Ruf ramponiert.
Na, furchtbar! Die Studierenden waren in höchstem Maße verunsichert, ob sie ihr Studium fertigmachen können.
Haben Sie auch gelitten?
Gelitten ist ein harmloser Ausdruck, und das Verfahren hat fünf Jahre gedauert. Eingereicht wurde es ja 2020, erst kürzlich haben wir das endgültige „Go“ bekommen. Wir haben gekämpft, wie die Löwen, und am Ende ist alles gut.
Sie gehen im August mit 72 in Pension. Wie geht es Ihnen damit?
Ich gehe mit einem sehr guten Gefühl. Es ist die richtige Zeit. Wir haben ein tolles Nachfolgeteam. Ich plane zwei Reisen: einmal nach Ägypten ins Tal der Könige und außerdem nach Japan. So versuche ich das Unbekannte, das auf mich zukommt, in den Griff zu kriegen.
Gründungsrektor: Der Psychoanalytiker Alfred Pritz war in den Neunzigerjahren Initiator des damals noch heftig umstrittenen Psychotherapiegesetzes in Österreich und gründete vor 20 Jahren die weltweit erste Universität für Psychotherapie: die Sigmund Freud Uni in Wien. Sie hat mittlerweile weit mehr Fächer und ist die größte Privatuni Österreichs mit mehr als 6000 Studentinnen und Studenten. Bei Medizin wurde ihr vorübergehend die Akkreditierung entzogen.
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