Trend: Herr trägt Handtasche und sagt Murse dazu
Wenn Jean-Sebastien Rocques und seine Lebensgefährtin Alice Barbier das Haus verlassen, kann schon der Eindruck entstehen, dass er sich in ihrem Kleiderschrank bedient. Nicht selten sieht man das Paar, das auf dem gemeinsamen Instagram-Account fast 340.000 Follower verzeichnet, in optisch perfekt abgestimmten Looks – und ihn mit Handtaschen, die eigentlich auch ihre sein könnten.
Sind sie jedoch nicht. Rocques gehört zu jener neuen Generation an Männern, die Handtaschen ebenso selbstverständlich tragen, wie Frauen. Der Begriff „Murse“, abgeleitet von „Male Purse“, mag im ersten Moment Assoziationen mit faden Aktentaschen oder Bauchtascherl à la Klischee-Ballermann-Urlauber wecken. Das Gegenteil ist der Fall: Die meisten Designs, an die sich Mann jetzt heranwagt, werden gekreuzt getragen. So stylt Influencer Jean-Sebastien Rocques eines seiner Modelle, eine cognacfarbene Kreation des Modehauses Loewe, zu lässigem Blazer und Baseballkappe.
Eine für alle
Zwei Modehäuser haben in Sachen Handtasche für den Mann ganz klar die Nase vorn. Zum einen Dior, wo Kim Jones im Zuge seiner ersten Kollektion als Chefdesigner für die Männerkollektion im Frühjahr 2019 ein Update der berühmten Saddle Bag präsentierte. Das Accessoire in Form eines Reitsattels war bis dahin fast ausschließlich an Frauen zu sehen – unter anderem an Sarah Jessica Parker alias Carrie Bradshaw in der Kultserie „Sex and the City“.
Den größten Einfluss darauf, dass auch in Österreich immer mehr Männer mit umgehängter Tasche zu sehen sind, hatte jedoch Louis Vuitton. Im Zuge einer Kollaboration mit der Streetwear-Marke Supreme im Jahr 2017 kreierte ebenfalls Jones, der damals noch für das französische Traditionshaus arbeitete, zahlreiche Umhängetaschen, die er an Männermodels präsentierte.
Hosen- vs. XL-Tasche
Dabei war die Handtasche einst ständig am Mann zu sehen. Bereits im Mittelalter wurden Taschen an den Gürtel gehängt. Im 18. Jahrhundert waren Brieftaschen ein großes Thema, ebenso bestickte Jagdtaschen. Und selbst im 19. Jahrhundert wurde der Begriff Handtasche für Reisetaschen, die vor allem von Männern getragen wurden, verwendet.
Im 20. Jahrhundert schien sich die Welt förmlich in zwei Lager zu spalten. Männer schafften es, all ihre Habseligkeiten unterwegs in den Hosen- und Jackentaschen zu verstauen – die Extra-Tasche wurde zum Tabu. Für Frauen wurde sie immer wichtiger. Nicht selten bezeichnet letzteres Geschlecht die eigene Handtasche als so wichtig, dass man sich – wäre man gezwungen das Haus ohne sie zu verlassen – nackt fühlen würde. Kein Wunder: Neben Geldbörse, Handy und Autoschlüssel muss darin meist noch so viel „Lebensnotwendiges“ Platz finden, dass Frauen laut einer deutschen Studie satte 76 Tage ihres Lebens mit dem Kramen in der eigenen Handtasche verbringen.
Und was bewegt den Mann dazu, sich eine Handtasche zuzulegen? Auch hier können praktische Gründe eine Rolle spielen. Vielmehr geht es aber um die Optik: „Insbesondere bei kleineren Herrenhandtaschen spüren wir eine verstärkte Nachfrage“, sagt Franz Holzer, Einkaufsleiter beim Wiener Kaufhaus Steffl. „Unabhängig vom Alter tragen diese Modelle gerne unsere modischen Kunden, die mit dem Trend der Zeit gehen und großen Wert auf ihren Gesamtlook legen.“
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