Alles neu bei Hugo Boss: Jogginghose statt Edel-Anzug
Wer sich in den Achtzigerjahren cool und schmissig wie Sonny Crockett in „Miami Vice“ präsentieren wollte, gönnte sich einen Einreiher von Hugo Boss. Neben der Kultserie stattete das deutsche Label damals auch „L.A. Law“ mit Anzügen aus. Ein genialer Werbecoup, um in den USA bekannt zu werden.
Dabei hatte Hugo Ferdinand Boss während des Zweiten Weltkriegs in Metzingen noch NS-Uniformen genäht und Arbeitskleidung verkauft. Als es ab den Fünfzigerjahren immer weniger Absatz für Arbeitsoveralls und Schürzen gab, setzten die Erben erstmals auf Anzüge im italienischen Stil.
Den Siegeszug der Marke hatten sie zunächst vor allem einem zu verdanken: Werner Baldessarini. Der Designer entwarf für das Unternehmen ab 1975 edle Anzüge für modebewusste Männer. Boss galt als puristisch, aber mutig genug, um mit neuen Schnitten und Stoffen zu experimentieren.
In den Nullerjahren bei Jungen gefragt
Anfang der Nullerjahre wurde das Label in Deutschland sogar für die jüngere Generation trendig – die Leinwandstars von Matthias Schweighöfer über Daniel Brühl bis Jessica Schwarz zeigten sich auf roten Teppichen vorzugsweise in Anzügen und Kleidern von Hugo Boss.
Verliert an Image
Doch anstatt in den vergangenen Jahren mit der Zeit zu gehen und auf Instagram-Influencer und Online-Präsenz zu setzen, gab man sich 2014 fast ein wenig veraltet als man Hollywoodstars wie Reese Witherspoon und Gwyneth Paltrow in der ersten Reihe der Fashionshow in New York hofierte.
In den vergangenen Jahren strauchelte die Firma zusehends. Nicht nur, was die schlechteren Verkaufszahlen durch die Pandemie anging, sondern vor allem, was das Image betraf. Die trendangebende Jugend von heute hat mit Boss herzlich wenig am Hut. Schicke Kleider und edle Anzüge sind durch die neue Gemütlichkeit und den Trend zur Freizeitkleidung in allen Lebenslagen immer weniger gefragt. Die Schwaben konnten sich während Geschäftsführer Claus-Dietrich Lahrs, der 2016 ausschied, weder im Luxussegment behaupten, aber auch nicht in den neuen Mainstream der Influencer und TikToker einfinden. Boss verliert seitdem an Eigenständigkeit und Strahlkraft und weiß nicht so recht, wohin.
Dessen ist sich auch Daniel Grieder bewusst. „Wir wollen die Marke jünger und vor allem relevanter machen“, sagte er bei seiner Präsentation als neuer CEO. Der Schweizer Manager ist seit Juni bei dem Traditionslabel Einsatz und soll die Rekordsumme von elf Millionen Euro pro Jahr für seinen Dienst erhalten, um Boss und die vielen Sparten wie Boss Orange bis Hugo wieder hip zu machen.
Ehrgeiziger Topmanager
Grieder bringt zumindest schon einmal große Vorhaben mit. Er will den Umsatz der Frauenlinie bis 2024 verdoppeln, hat ein Marketingbudget von 100 Millionen Euro freigegeben und das Ziel, wieder unter die 100 wertvollsten Marken der Welt zu kommen. Sein voriger Job bei Tommy Hilfiger lässt die Metzinger hoffen, denn die US-Marke hat der 59-Jährige als Freizeitlabel höchst rentabel gemacht.
Bombast-Event in Mailand
Nun will sich der Topmanager auch mit Boss bewusst sportlich geben. Eine Kooperation mit dem Sportbekleider Russell Athletic ist das erste Zeichen. Die neue Kollektion wurde nun als Bombast-Event auf der Mailänder Fashion Week präsentiert. In einem Sportstadion feierten 1.300 Gäste mit Marschkapelle und Baseballteam die Verjüngung des Unternehmens.
Zu sehen waren Jogginganzüge in Orange und Braun, viele Sweater, bauchfreie Tops und Blazer in weichen, knitterfreien Materialien. Die Stücke sind fraglos teenie- und mainstreamtauglich, wenn auch austauschbar.
Gefeierte Damenkollektion
Mehr modische Raffinesse hat die aktuelle Damenkollektion von Boss, die im Vorjahr ebenfalls in Mailand – statt wie sonst üblich in New York – zu sehen war. Kritikern gefielen die tragbaren Stücke aus dünnem Leder und Seide. Man wolle sich wieder verstärkt auf Europa und Frauenmode konzentrieren, so Grieder, der sogar die Farben „Schwarz, Weiß und Camel“ selbst vorgibt. Demnächst kann er sich auch vorstellen, andere Marken einzukaufen.
Jetzt gilt es aber erst einmal, Boss wieder relevant zu machen. Die ersten Schritte wurden jedenfalls in Jogginghose statt im klassischen Anzug getan.
Belastet. Schon zwei Jahre vor der Machtübernahme der Nazis ist der Schneider Hugo Boss aus Metzingen der NSDAP beigetreten. Während des zweiten Weltkriegs bekam Boss Aufträge, Uniformen für die SA, SS, Wehrmacht und die Hitler-Jugend zu nähen. Er hat von guten Kontakten zur NSDAP und von Zwangsarbeitern profitiert, sagt der Wirtschaftshistoriker Roman Köster, der eine Firmen-Analyse in Buchform publiziert. Die braunen Flecken belasteten das Image der Marke ab den Neunzigerjahren, als die internationalen Medien die Vergangenheit von Boss aufarbeiten. Der Ruf drohte allmählich Schaden zu nehmen. Also gab das Unternehmen selbst zwei Studien dazu in Auftrag. Nach Kösters Aufarbeitung entschuldigte sich die Firma bei allen Menschen, „die durch den Fertigungsbetrieb von Hugo Ferdinand Boss zu Zeiten des Nationalsozialismus Leid erfahren haben“.
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