Der KURIER traf in Amed/ Diyarbakır den (Staats-)Rechtsprofessor der Uni AnkaraMithat Sancar, der für die Parlamentswahlen am 7. Juni erstmals für einen Sitz im Parlament kandidiert, zum Interview. Zufällig.
Immer wieder von Gästen des Kaffeehauses Sünülü... zu Selfies gebeten, fragen wir ihn. Seine erste Frage: „Können wir das Interview auch auf Deutsch machen? Ich habe aber nicht viel Zeit, in einer Stunde sollte ich am Flughafen sein, aber wir können beginnen und vielleicht übermorgen am Telefon oder über Skype fortsetzen."
Lautstarke und farbenprächtige Unterstützung für Selahattin Demirtas, den co-Vorsitzenden der HDP
Die relativ neue
Halkların Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker) ist ein nicht zuletzt von Abdullah Öcalan angeregtes Bündnis mehrere Parteien aus dem linken kurdischen Spektrum (BDP) sowie sozialen Bewegungen im Westen der Türkei, deren auch bei uns bekannteste wohl die rund um die Erhaltung des Gezi-Parks im Zentrum Istanbuls ist. Die Aktivist_innen hatten zunächst gegen ein Bauprojekt protestiert, sich aber bald gegen die islamisch-konservative AK-Regierungspartei und deren starken Mann, den jetzigen Staatspräsidenten TayyipErdoğan gewandt.
Ziel der HDP ist ein allgemeine Demokratisierung des ganzen Landes, der Kampf gegen Diskriminierung unterschiedlichster Minderheiten und eine Gleichberechtigung aller Völker und Glaubensgemeinschaften. Der Zusammenschluss stellt auch die Kurdenfrage auf eine neue, breitere Basis – nicht zuletzt, weil für die
Wahlen am 7. Juni für den Einzug ins Parlament eine 10%-Hürde gilt.
Trotz des Zeitdrucks wirkt und redet der fünfsprachige Uniprof in keinster Weise hektisch. „Ich bin in Mardin mit Arabisch aufgewachsen, auf der Straße hab ich Kurdisch und zwar Kurmandschi gelernt. In der Schule musste ich dann Türkisch lernen. Das ist mir auch leicht gefallen. Und später lernte ich dann natürlich Englisch und Deutsch, weil ich zwei Mal je ein Jahr Assistent an deutschen Unis war und später auch mehrmals Gastprofessuren hatte“, legt Sancar zunächst seine sprachlichen Hintergründe dar.
Wie es zu seiner erstmaligen Kandidatur kam, will der KURIER wissen. Ich war als Staatsrechtsprofessor bereits im Beratergremium der Partei, habe auch mehr als zehn Jahre (rechts-)politische Kolumnen in Tageszeitungen geschrieben und bin nun für diese Wahlen von der HDP eingeladen worden, zu kandidieren. Natürlich muss ich mich, wenn ich gewählt werde, erst damit vertraut machen, nicht mehr – so viel – an der Uni machen zu können. Die Arbeit als Abgeordneter wird nicht ganz neu sein, als Staatsrechtler hab ich schon viel mit den Institutionen und Funktionen des Landes beschäftigt, aber die wissenschaftliche Arbeit bereitet mir schon sehr viel Freude. Die Einladung, für unsere gemeinsame Partei zu kandidieren, ist für mich eine Ehre und natürlich eine sehr wichtige Aufgabe.
Angesprochen auf den jüngsten Friedensappell aber auch die Erfahrungen vorangegangener Aufrufe des PKK-Vorsitzenden
Abdullah Öcalan, stellte Sancar klar: „Öcalan hat dieses Mal – der Brief wurde zwar erst zu Newroz verlesen, aber den Inhalt hatte er im Wesentlichen ja schon ein Monat vorher bekannt gegeben – betont, dass es kein bedingungsloses „Waffen nieder!“ geben kann, sondern über Bedingungen verhandelt werden muss.“ Beim letzten Mal vor zwei Jahren waren die ersten Kämpferinnen und Kämpfer, die aus den Bergen in die Dörfer und Städte kamen, sofort verhaftet und eingesperrt worden.
„Der Kongress der PKK, den der Vorsitzende vorgeschlagen hat, soll solche Bedingungen formulieren. Es muss Freiheitsgarantien für die dann ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfer geben. Im 10-Punkteplan Öcalans werden aber auch insgesamt demokratische Reformen verlangt. Und vor allem ernsthafte Verhandlungen seitens der türkischen
Regierung.“
"Sind Sie da optimistisch? Einige Äußerungen insbesondere jüngste von
Recep Tayyip Erdoğan, scheinen ja etliche Schritte zurück zu sein?"Mithat Sancar: „Wir spüren, dass die Dynamik des Handelns derzeit eher zugunsten der demokratischen Kräfte wirkt.“ Sogar Teile der Regierung haben Erdoğan kritisiert. „Und wenn wir es wirklich schaffen, die sehr hohe administrative Hürde von 10 Prozent zu überspringen, die notwendig ist, um ins Parlament zu kommen, dann wird es zusätzlich Rückenwind dafür geben, die Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen.“
Und dies, so der Universitätsprofessor, sei nicht nur für die Lösung des Konflikts zwischen türkischem Staat und der kurdischen Minderheit mit fast 40.000 Toten wichtig, „sondern wäre auch allgemein eine Stärkung der demokratischen und sozialen Bewegungen in der Türkei, es würde zu einem gesellschaftlichen Wandel insgesamt beitragen.“
Kommentare