Selbst die Busse sangen "LLLLLLLLLL"
© Heinz Wagner
Das Neujahrsfest Newroz ist für KurdInnen ein politisches Volksfest. Reportage aus Amed/Diyarbakır.
Schon am Vorabend bei der Einfahrt nach Amed wie Diyarbakır auf Kurdisch heißt, das von vielen Kurd_innen in der Türkei als ihre Hauptstadt gesehen wird, empfängt Gäste ein Feuerwerk. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass bei einem Fest am Vorabend von Newroz im syrischen Al-Assakh durch einen IS-Bombenanschlage rund drei Dutzend Menschen ermordet wurden.
LLLLLLLLLLLLLLLLL
© Heinz Wagner
Kämpferisch und durchaus optimistisch in Anbetracht der zu erwartenden starken Friedensansage ihres „
Apo“, des bereits 16-jährigen Gefängnisaufenthalts unumstrittenen fast wie ein Guru verehrten politischen Oberhauptes,
Abduallah Ocalan, ließen sich Hunderttausende nicht im Geringsten davon abhalten, schon in den frühen Morgenstunden zum vor einigen Jahren eigens errichteten Festgelände, damals noch am Rande der Stadt, mittlerweile von unzähligen Hochhausneubauten praktisch schon umringten Areal, zu pilgern. So manche Fahrer öffentlicher Busse versuchten in ihrem Hupkonzert das charakteristische traditionelle „LLLLLLLLLLL“ das vor allem kämpfersiche Frauen durch schier unendlich schnelles rauf und runter Bewegen der Lippen und rausgepresste Luft erzeugen, nachzuahmen.
Rot - Gelb - Grün
© Heinz Wagner
Von allen Seiten strömten die Menschenmassen, zumeist mit mindestens einem Accessoire in den Farben der kurdischen Flagge Rot – Gelb – Grün. Von Kopf- und Halstüchern, Armbändern, ganzen Kleidern, Haarbändern... Wer noch nichts entsprechendes hatte, konnte auf den Wegen zum umzäunten Areal mit Abtast-Sicherheitskontrollen neben Adana-Kebab-Spießen, Sesamringen, Obst und anderen Leckereien wie bei jedem
Volksfest genannte und andere Teile noch erstehen. Selbst die an allen Ecken und Enden vor Sehenswürdigkeiten angebotenen rosa Zuckerwattepölster in Plastiksackerln zu einer hohen Stange aufgetürmt, fanden hier Ergänzung in grüner und gelber Zuckerwatte. Das Rosa musste für Rot herhalten. Unter den dreifärbigen Ringen, die angeboten wurden, fielen einige dadurch auf, dass sie zusätzlich eine Hanfpflanze drauf hatten.
Vertrauen
© Heinz Wagner
Regenfälle des Vortages und erster leichter Regen am Festtag selber verwandelten die Wiesen rund um und am Festgelände unter den Füßen der Zuströmenden zu Gatsch-Teichen. Trotz Geschiebes und Gedränges kaum grantige oder unfreundliche Worte. Für Menschen mit kleinen Kindern, manche nicht nur rot-gelb-grün adjustiert, sondern auch in Peschmerga-ähnlichen Hosenanzügen, oder solche mit Behinderung wurde Platz freigedrängt. Um- und Umwege und endlich durch eine der schmalen Türen im Gitterzaun unter der verrosteten Tafel, mehrere Männer und Frauen mit übergeworfenen Öcalan-Bildnis-Sicherheitswesten tasten die Besucher_innen ab. Schnell, schnell, sie wollen nicht zusätzlich Stau erzeugen. „Und wir arbeiten mit unserem Vertrauen – auch unsere Politikerinnen und Politiker haben keine Securities, die Parteilokale auch kaum Sicherheitsvorkehrungen. Es ist unsere Ideologie, dem Volk zu vertrauen“, so
Yunus K., Aktivist der PKK-nahen kurdischen Studierendenorganisation Feykom.
Verbrüderungen und Verschwesterungen
© Heinz Wagner
Im Festgelände trotz dichten Gedränges immer wieder kleine Kreise, die Halay und andere traditionelle Tänze zelebrierten. Mitunter angeheizt von einem Duo aus Trommler und Flötist. Und immer wieder Selfie-Stopp. Wildfremde Menschen aus allen Ecken und Enden – aus anderen Städten der (Ost-)
Türkei, aus
Österreich, der
Schweiz, Deutschland, dem
Iran,
Italien, dem
Irak... Kurze Verbüderungen und Verschwesterungen für die Rundtänze, für gemeinsames „LLLLLLLLLL“, und vor allem Selfies.
Politisches Volksfest
© Heinz Wagner
Von der Bühne Revolutionäre Lieder ebenfalls aus unterschiedlichsten Weltgegenden, vom klassischen italienischen Bandiera
Rossa, über eine türkische Version zur Melodie vom bekannten „Arbeiter von
Wien“ und natürlich durfte die Internationale nicht fehlen. Und die kurdische Hymne. Dazwischen die Forderung nach Freiheit für Öcalan gefolgt von den skandierten Rufen Azadi, Azadi...“ (Freiheit).
Endlich Schluss mit dem Krieg
© Heinz Wagner
Dann der kalte Regenschauer gepaart mit kräftigem Wind, der rasch bis auf die Haut nass machte. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt verlasen zwei Parlamentsabgeordnete, die wenige Tage zuvor den Parteichef im Gefängnis besucht hatten, jene Rede, die er ihnen mitgegeben hatte, und die seine Anhänger nicht mehr, viele westliche Medien aber schon überraschte. Seit einem Monat kennen sie seine Gedanken zum bevorstehenden Friedenskongress. Und seit Jahren kennen sie die Stimmung in den Dörfern, endlich Schluss mit dem Krieg....
Viele Fotos - samt Neujahrsfeuer in der Bilderstrecke!
Kommentare