„Bis zur Diagnose kann es immer noch was anderes sein“

Susanne Kletzl war von Anfang an klar, dass ihr mittlerer Sohn Unterstützung in seiner Entwicklung brauchte. Doch was er wirklich hat und wie sie Schlimmeres verhindern kann, weiß sie erst seit Kurzem – dazwischen lagen viele Jahre Unwissenheit, Zufallsbefunde und die mühevolle Suche nach den richtigen Anlaufstellen.
„Gerade in der Zeit, wo man die Diagnose bekommt, herrscht totale Ausnahmesituation. Ich hätte keine Ressourcen gehabt, herauszufinden, wer mich unterstützen kann“, erzählt die Salzburgerin heute. Deshalb hat die Pädagogin im Rahmen ihrer Ausbildung einen Leitfaden erstellt, um Eltern in solchen Situationen zu helfen.
„Viele Baustellen“
Aber von Anfang: Samuel war ein schlechter Trinker, er hat spät angefangen zu krabbeln und zu laufen. „Es war keine bilderbuchmäßige Entwicklung. Keiner wusste genau, was los ist. Es kam eine Baustelle nach der anderen auf.“ Immer wieder hörte die Familie: „Er macht schon seinen Weg.“
Bei einer Fortbildung zu neurologischen Erkrankungen erkannte Susanne Kletzl die Symptome ihres Sohnes dann wieder: Neurofibromatose (NF), eine seltene Erkrankung (siehe Infokasten unten). „Ich wollte nicht hysterisch sein und bin ja auch keine Ärztin, die eine Diagnose stellen kann.“ Samuel hatte von Anfang an Pigmentflecken, ein markantes Merkmal von NF. Sein Dermatologe kannte die Krankheit jedoch nicht und dachte, es wäre ein Pilz, der von selbst weggeht. „Samuel war da schon 8 Jahre alt. Er hatte also 8 Jahre keine Diagnose, bis ich selbst angefangen habe zu suchen.“
Der entscheidende Hinweis kam von einer neuen Schulärztin, die das Syndrom kannte. So fand die Familie zum Verein „NF Kinder“, wo sie endlich erfuhr, zu welchen Untersuchungen und Anlaufstellen Samuel muss, um eine finale Diagnose zu bekommen: „So lange man es nicht schwarz auf weiß hat, könnte es ja immer noch etwas anderes sein.“
Befunde übersetzen
Monate später bekamen wir einen Zettel mit unzähligen Blutbefunden in die Hand: „Irgendwo steht pathogen und man braucht jemanden, der einem das einmal übersetzt“, erinnert sich Susanne Kletzl und weiß von anderen, die so eine Diagnose überhaupt per Post zugestellt bekommen haben.
Medizinisch sind die Patienten in Österreich gut versorgt – auch wenn viele Ärzte Krankheiten wie NF noch nicht kennen. Immerhin konnte der Verein NF Kinder in Kooperation mit der MedUni Wien das erste österreichische Neurofibromatose-Zentrum am Wiener AKH ins Leben rufen.
"Alleine gelassen"
Doch auf psychosozialer Ebene fehlt es laut Kletzl noch sehr an Begleitung, vor allem zum Zeitpunkt der Diagnose: „Da wird in den Raum gestellt, dass das Kind eine unheilbare Krankheit hat und möglicherweise Tumore bilden und Entwicklungsverzögerungen haben wird – mit diesen Themen wird die Familie alleine gelassen. Niemand fängt sie auf, gibt ihnen ein Netz, wo sie ihre Sorgen besprechen und teilen können.“ Zwar würden Ärzte oft empfehlen, dass man sich als Familie psychologische Unterstützung holen sollte, „aber wer bezahlt das? Nicht die Krankenkassa.“ Oft müssten ja noch andere Therapien aus eigener Tasche bezahlt werden und vielleicht sind auch andere Kinder zu versorgen.
Bessere Vorsorge
Heute ist Samuel 11 Jahre alt und hat zwar noch die gleichen Baustellen wie vorher, aber seine Familie weiß jetzt, worauf sie achten muss. „Wir machen Untersuchungen, die wir vorher nicht gemacht haben. Zur Vorsorge, weil er bestimmte Risikofaktoren für Tumore hat.“
Parallel zur Diagnose von Samuel war Susanne Kletzl mit der Abschlussarbeit für ihre Ausbildung befasst und machte die Begleitung von Familien mit chronisch krankem Kind zu ihrem Thema. „Ich wollte etwas Sinnvolles tun.“ Im Rahmen einer Studie mit 81 Familien (in Zusammenarbeit mit „NF Kinder“) fand sie heraus, was diese in so einer Situation wirklich brauchen. „Da konnten wir viel bewegen. Aber es gibt auch noch viel zu tun.“
Sogenannte Milchkaffee-Flecken sind oft ein erster Hinweis. Ansonsten wird Neurofibromatose (NF) auch die Krankheit der vielen Gesichter genannt. Nerven, Haut, aber auch innere Organe können betroffen sein, aber auch psychologische und orthopädische Probleme sind häufig. Die Symptome sind so unspezifisch, dass sie für Ärzte und Ärztinnen meist nicht einfach erkennbar sind. Erst ein Gentest gibt Gewissheit.
In Österreich sind derzeit etwa 800 Kinder und 4.000 Erwachsene von NF betroffen. Allerdings geht man von einer hohen Dunkelziffer aus, weil manche gut damit leben und nur Beschwerden haben, die nicht direkt auf NF zurückzuführen sind. Die Erkrankung wird bei der Hälfte der Betroffenen vererbt, bei der anderen Hälfte handelt es sich um sogenannte Spontanmutationen.
Unterstützung
Um Betroffenen zu helfen und ihnen Orientierung zu geben, hat Claas Röhl den Verein „NF Kinder“ gegründet: „Der Gang von Arzt zu Arzt, von Termin zu Termin kann während dieser Zeit ziemlich zermürbend sein. In Wien haben wir mit dem NF Kinder Expertisezentrum einen ersten wichtigen Schritt zur Verbesserung der Versorgung und Betreuung von betroffenen Kindern und Jugendlichen geschafft. Für die landesweite psychosoziale Versorgung ab dem Diagnosezeitpunkt ist aber noch viel Aufbauarbeit nötig.“
Mit dem ersten österreichischen NF-Expertisezentrum am AKH Wien wurde eine Anlaufstelle für betroffene Kinder und deren Eltern geschaffen, wo Diagnose, Kontrolle und Behandlung koordiniert werden. Unterstützung gibt es auch durch persönliche Beratung, Fortbildungsveranstaltungen, bei NF-Familientreffen und durch Webinare zu verschiedensten Themen in Zusammenhang mit Neurofibromatose. Da es in Österreich keine finanzielle Unterstützung aus öffentlicher Hand dafür gibt, ist der Verein auf Spenden und Sponsoren angewiesen, um diese Versorgungsqualität nachhaltig sicherzustellen.
Nähere Infos zur Patientenorganisation und Kontaktdaten unter nfkinder.at
Kommentare