Winzerin Katharina Gessl steht zwischen ihren Weinstöcken, hält eine ihrer Weinflaschen vors Gesicht und zeigt das Etikett.
Optik

Im Auge des Genießers: Die Macht des Weinetiketts

Das Design und sogar die Struktur von Weinetiketten beeinflussen nicht nur unsere Kaufentscheidung, sondern auch unseren Geschmack. Weinbauern zeigen deshalb Kreativität auch auf der Flasche.

Was darf es sein? Ein glattes, eines mit Struktur, das sich ein wenig wie Pergament anfühlt, oder gar eines mit Aluminium-Prägung? Ein Etikett mit Waldtieren, mit Burgen oder lieber nur mit Text?

Auch wenn wir uns – analog zum Sprichwort: „Bewerte ein Buch nicht nach seinem Einband“ – vornehmen, die Flasche Wein für die Essenseinladung am Wochenende ausschließlich nach ihrem Inhalt auszuwählen, ist es doch eine Tatsache: Vier von fünf Personen lassen sich beim Weinkauf von der äußeren Erscheinung leiten

Weinrebe

Die Traube ist nicht das einzig Entscheidende beim Weinkauf.

©Anna-Maria Bauer

Und so ist bei Weinbauern Kreativität nicht nur in der Flasche gefragt, sondern auch beim Produktdesign.

Der Grüne Veltliner als Hawara

Für Katharina Gessl ist der Grüne Veltliner ein „Hawara“. Einerseits ist er für die Winzerin persönlich ein alter Freund, steht die 27-Jährige doch derzeit wieder ab 8 Uhr im Weingarten, um den Lesewagen vor dem Mittagessen idealerweise drei Mal mit Trauben vollzupacken. Doch der Begriff trifft es auch im übertragenen Sinn: Als meistgepflanzte Rebsorte Österreichs ist der Grüne Veltliner mit dem ganzen Land eng vertraut.

Weinflasche wird zwischen Wein hochgehalten

Katharina Gessl ging bei der Etikettgestaltung neue, kreative Wege.

©Marc Cepelak/ Franzi Stegemann

Und so hat Gessl den Namen „Hawara“ auf dem Etikett platziert. Darunter lugen ihre Beine in den Weingartenstiefeln hervor, bereit zur Arbeit. Der kapriziöse Gelbe Muskateller wiederum, auf dessen Etikett sie sich selbst abgebildet hat, ist ein „Schlingel“, und der flirtende Zweigelt Rosé ein „Gspusi“, bei dem zwei Liebhaber hinter einer Zeitung verschwinden. Ein ungewöhnliches Konzept, das aufgeht. Bereits im dritten Jahr exportiert sie ihre Weine in 20 verschiedene Länder.

Emotion entscheidet

Denn die jungen Weinliebhaber wählen Wein weniger nach Terroir und Verkostungsnotizen aus; sie suchen vielmehr nach Identität und Emotionen. Das unterstreicht eine Studie der Washington State University aus 2024, bei der 324 Frauen aus den USA Weinflaschen präsentiert wurden, deren fiktive Etiketten als weiblich, männlich oder neutral definiert waren. Das Ergebnis: Frauen fühlen sich mehr zu „femininen“ Marken mit kleinen Waldtieren und Blumen hingezogen als zu „maskulinen“ Designs wie Wölfen und Hirschen oder „neutralen“ wie Burgen.

„Unabhängig davon, ob sie sich mit Wein gut oder weniger gut auskannten, hatten sie eine höhere Kaufabsicht, wenn sie diese femininen Hinweise sahen“, sagt Studien-Co-Autorin Christina Chi. „Der Einfluss der geschlechtsspezifischen Hinweise war so stark, dass er den Effekt des Wissens übertrumpfte.“ Gefühl über Verstand.

Neues Design, neue Kundengruppe

Winzerin Christina Netzl hat ihre neue Weinlinie nicht bewusst danach ausgerichtet, und doch seien es vermehrt Frauen (die übrigens 60 Prozent der Weinkäufe tätigen) und junge Menschen, die zu ihren „Christina Wines“ greifen würden.

Christin Netzl Weine
©Julius Hirtzberger

Vor knapp einem Jahrzehnt hat Netzl das etablierte Angebot ihres Familienweinguts – jenes mit dem edlen Logo auf der schlanken, dunklen Flasche – um junge, ungeschminkte Naturweine erweitert. Die „Christina Wines“ kommen in breiteren, weißen Glasflaschen mit verspieltem Etikett, auf dem sich wilde Farben oder Schmetterlinge und Käfer wie auf einer bunten Sommerwiese tummeln.

Wein von Christina Netzl

Die Naturweine "Christina Wines" kommen mit jungem, verspieltem Etikett.

©Julius Hirtzberger

Die Idee kam von ihrer amerikanischen Importeurin. „Ihr Mann ist Künstler, und als er den ersten Vorschlag durchgeschickt hat, waren meine Kinder so begeistert, dass die Sache entschieden war.“ Christina Netzl lacht.

Weinflaschen mit Tiermotiven sind nicht nur im Trend, sie stehen auch für Qualität. Der neuseeländische Journalist Fox Meyer hat mit Hilfe einer KI-Software 1.400 Weinflaschen analysiert. Die Erkenntnis: Weinflaschen mit Tierdarstellungen behielten bei steigendem Preis am häufigsten die Qualität – am erfolgreichsten war der Fisch.

Geprägt ist hochwertig

Eine aktuelle Masterstudie aus dem Burgenland hat wiederum ergeben, dass bereits die Struktur des Etiketts Geschmackserwartungen weckt. In ihrer Masterarbeit hat Anne Nutta 71 Weininteressierte Weinflaschen erfühlen lassen und erkannte: Ein glattes Etikett löst Assoziationen mit frischen, fruchtigen Weißweinen aus, ein samtiges wird mit vollmundigen Rotweinen assoziiert und ein geprägtes mit hochwertiger Qualität in Verbindung gebracht. Für dieses Etikett waren die Teilnehmer gewillt, bis zu 15 Prozent mehr zu zahlen.

Weingut Kerschbaum

Am 1. Oktober bringt Markus Kerschbaum eine handbemalte Sonderedition auf den Markt.

©Weingut Kerschbaum

Das kommt Markus Kerschbaum zugute. Am 1. Oktober kommt eine Spezialedition aus seinem Weingut auf den Markt: „X“, ein zehn Jahre lang gereifter Blaufränkischer, der zeigt, wie großartig diese Weinsorte ist, wenn man ihr lange Zeit gibt. Die Besonderheit wollte der Winzer auf der Flasche einfangen. Jede der 3.000 Flaschen wurde deshalb nicht nur händisch verlesen, sondern auch von Hand mit einem goldenen X versehen. Kostenpunkt: 119 Euro.

Es ist ein Weinprodukt, mit dem man bei der Essenseinladung am Wochenende Eindruck schindet. Denn wenn man Wein zum Teilen kauft, geht es schließlich auch um den (visuellen) Geschmack des Gegenübers.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Schreibt seit 2021 als freie Autorin aus London für den KURIER über Politik, Royals und Lifestyle. Zuvor acht Jahre in der Wien-Chronik.

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