Die Seele? „Vielleicht ein Fehler in unserem System“

Reza Aslan: "Der Glaube an ein anderes jenseits dieses Lebens hat die ganze Menschheitsgeschichte hindurch existiert"
Der Religionsforscher und Autor Reza Aslan über den Drang, unserer Seele nachzuforschen

KURIER: Herr Aslan, oft heißt es, die viel zitierte Sinnsuche sei ein Phänomen unserer Zeit. Aus Ihrem Buch "Gott. eine Geschichte des Menschen" geht hervor: Die Menschen haben immer schon darüber nachgedacht, wozu wir eigentlich hier sind.

Reza Aslan: Der Glaube daran, dass es ein anderes jenseits dieses Lebens gibt, dass es eine andere Realität jenseits dieser gibt, dass wir, abgesehen von dem, was wir sonst noch sind, ewige Seelen, gefangen in sterblichen Körpern sind, ist ein Gedanke, der in allen Teilen der Welt, die ganze Menschheitsgeschichte hindurch existiert hat.

Warum ist das so?

Das versuchen Wissenschafter seit Jahrhunderten zu ergründen. Niemand weiß, welchen Entwicklungsvorteil es für uns Menschen haben sollte, dass wir unserer Seele ständig nachforschen. Wahrscheinlich sind wir einfach so gestrickt. Anders gesagt: Der Drang, uns solche existenziellen Fragen zu stellen, ist wohl in unserem Gehirn verankert.

Vielleicht ist es einfach ein Fehler in unserem System. Ein zufälliges Nebenprodukt einer anderen evolutionären Entwicklung, die weit in unserer Vergangenheit stattgefunden hat. Vielleicht ist es schlicht und einfach so, dass wir tatsächlich Seelen haben. Die Wahrheit ist, dass wir es nicht wissen. Das ist wohl etwas, das jeder Mensch mit sich selber ausmachen muss.

Haben Sie den Eindruck, die Sinnsuche hat sich heute verlagert? Von der Religion auf andere Lebensbereiche?

Religion ist nicht mehr und nicht weniger eine institutionalisierte, systematische Sprache aus Symbolen und Metaphern, die es gläubigen Menschen erlaubt, sich selbst und Gleichgesinnten gegenüber das Unsagbare auszudrücken. Wenn Sie so wollen, ist es eine Transzendenz-Erfahrung. Aber in keiner Weise ist Religion die einzige Möglichkeit dafür. Viele Menschen erleben Freude und Staunen auch durch säkulare, also nicht-religiöse Aktivitäten. Sei es, in dem sie mit ihrer Familie Zeit verbringen oder sei es beim Bergsteigen. All das steht ebenso für „Sinnsuche“, die nicht mit Religion erklärt werden muss.

Sie versuchen in Ihrem Buch, die Kluft aus Glauben und Wissenschaft zu überbrücken. Haben Sie Mitstreiter?

Sie meinen außer Einstein? Im Ernst: Die meisten Menschen haben kein Interesse an der simplen Zweiteilung von Religion und Wissenschaft, die so viele Wissenschafter und religiöse Führer motiviert! Religion und Wissenschaft sind einfach zwei verschiedene Arten des Wissens. Die Wissenschaft fragt nach dem "Wie", die Religion nach dem "Warum". Es gibt keinen Grund, warum wir hier einen Konflikt schüren sollten. Die Religion hat Willen gezeigt, wissenschaftliche Erkenntnisse zu akzeptieren, selbst, wenn diese gewisse Doktrin widerlegen. Als man entdeckt hat, dass die Erde nicht das Zentrum des Universums ist, wie es die Bibel lehrt, ist das Christentum trotzdem nicht verschwunden. Ich glaube, dass Religion und Wissenschaft einander ergänzen. Und es kann durchaus sein, dass Wissenschaft und Religion eines Tages eins werden.

Buchtipp: Reza Aslan. Gott. eine Geschichte des Menschen. Gütersloherverlagshaus. 22,70€.

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