Zum 100er gibt es dunkle Wolken über Disneyland
Die Entwicklung des Disney-Konzerns nach der Gründung ergäbe einen trickfilmtauglichen Märchenstoff: Die Disney Studios wurden in der Hochblüte Hollywoods zum Riesen – und zuletzt, dank Marvel-Superhelden, „Star Wars“ und Streaming, zum Giganten.
Ob die Märchenstory dieses Unterhaltungsriesen aber auf eines jener Happy Ends zusteuert, die der auf familientaugliche, oftmals schon aseptische Blitzsauberkeit aufgebaute Konzern so gerne seinem Publikum präsentiert, das ist derzeit so fraglich wie schon lange nicht mehr.
Es gibt dunkle Wolken über dem grellbunten Disneyland. Denn wie der aufgeblähte Disney-Riese nun weiter wachsen soll, ist unklar.
Neue Helden
Mit den klassischen Filmen von „Schneewittchen“ bis „Dschungelbuch“ errichtete Walt Disney ein Imperium. Gern vergessen wird aber, dass es nach Disneys Tod für den Konzern alles andere als gut lief. Erst durch die Neuerfindung und Modernisierung in den 1990er-Jahren, mit „Arielle“ und dem „König der Löwen“, wurde Disney nach langem Leerlauf wieder ein Faktor in der Popkultur.
Nach der Jahrtausendwende wurde die gefüllte Kriegskasse genialisch eingesetzt: Disney erwarb mit den Superhelden von Marvel und dem Kultuniversum von „Star Wars“ zwei Franchises, die seither die Popkultur zentral mitbestimmen. Mit den Marvel-Filmen schuf Disney aus einer leblosen Truppe an alten Helden die größte Filmserie der bisherigen Geschichte. Mehr als 26 Milliarden Dollar nahmen die Filme insgesamt ein, im Durchschnitt (!) eine Milliarde pro Film.
Und „Star Wars“ wurde von Disney rundumbeackert: Neun Filme umfasst inzwischen die Original-Saga, dazu gibt es Spin-offs, Serien („The Mandalorian“) und Merchandising ohne Ende.
Dazu erwarb man noch Pixar, davor die Schmiede einiger der tollsten Animationsfilme abseits von Disney, wie „Toy Story“ und „Findet Nemo“. Mit all diesem wertvollen Stoff hochgerüstet trat Disney als übermächtiger Gegner in den entscheidenden Konkurrenzkampf am Mediensektor ein: Innerhalb von gerade mal drei Jahren holte der Streamingdienst Disney+ den Platzhirschen Netflix bei den Abozahlen ein.
Wer den Streamingkrieg für sich entscheidet, ist mindestens so wichtig wie die Eroberung der Kinos vor 100 Jahren. Disney ist hier in einer privilegierten Position: Nur auf seinem Streamingdienst gibt es die erfolgreichsten Filme des vergangenen Vierteljahrhunderts und ein aus den Nähten platzendes Archiv voll mit Klassikern.
Bei einem Disney-Märchenfilm würde nun aber an genau dieser Stelle die ominöse Musik starten, die in den düsteren Teil des Filmes – Hexe! Dunkler Wald! – überleitet. Denn so erfolgreich der Disney-Konzern seit der Jahrtausendwende agierte, so groß sind die Fragen, die sich nun stellen. Die Säulen, auf denen die jüngsten Riesenerfolge fußen, sind tönern geworden.
Fan-Erschöpfung
Nach den bisher 30 Filmen des Marvel-Kinouniversums sollen noch zwölf weitere Superheldenfilme folgen. Selbst wer bisher noch keinen Helden-Burn-out spürt – bei der Aussicht auf ein weiteres Dutzend derselben Superheldengeschichten ahnt man, dass die Erschöpfung selbst bei den größten Fans nur noch eine Frage der Zeit ist. Das Megaerfolgskonzept – Menschen in komischen Kostümen jagen Böslinge – wird sich nicht ewig melken lassen.
Und wer keinen Bock mehr auf Marvel und „Star Wars“ hat, wird bald das Disney+-Abo hinterfragen.
Gerade bei „Star Wars“ hat Disney auch bereits erlebt, wie schnell es schwierig werden kann mit den Fans. Die neuen Filme der Serie wurden wegen zu großer Diversität bei den Schauspielern heftig kritisiert. Und auch hier stellt sich die Frage, wie viele Vor-, Neben- und Zusatzgeschichten das Publikum noch sehen will. Was das neue Erfolgsmodell sein könnte, mit dem man an das Milliardenbusiness mit den Superhelden und den Sternenkriegern anschließen kann, wenn diese sich totgelaufen haben, ist unklar.
Den Abonnenten-Erfolg im Streaming wiederum hat man sich mit Milliardenverlusten erkauft; das schmerzt selbst den Megakonzern so sehr, dass kürzlich der Disney-Boss durch seinen Vorgänger ersetzt wurde. Während der Pandemie litten die Themenparks gewaltig. Um 44 Prozent brach der Aktienkurs 2022 ein. Und der neue alte Chef Bob Iger musste jüngst sogar ein erstaunliches Gerücht öffentlich dementieren: Dass der stolze, mächtige Disney-Konzern selbst bereits zum Übernahmekandidaten geworden sei.
Arielle, Indiana Jones und weibliche Helden - wie Disney den 100er feiert
Zum heurigen 100er setzt Disney auf alte Helden (es gibt neue Filme zu Peter Pan und Indiana Jones), neue Heldinnen – in „Die Marvels“ gibt es gleich drei davon – und auf ein bisher eher erfolgloses Genre: Das der Real-Neuverfilmung der Filme aus den 1990ern. So wird nun auch „Arielle, die Meerjungfrau“, von einer echten Schauspielerin gespielt (dass sie schwarz ist, sorgte für einen absurden – sie hat auch Flossen! – wie heftigen Shitstorm).
Zwölf Filme sollen es im Jubiläumsjahr ins Kino schaffen. Darunter sind weiters neue „Guardians of the Galaxy“- und „Ant Man“-Superheldenfilme, der Pixar-Animationsstreifen „Elemental“ und, als klassische Disney-Materie, das Animationsmusical „Wish“, bei dem ein Stern zur Erde heruntersinkt, um einem 17-jährigen Mädchen zu helfen. Die Disney-Ressorts feiern natürlich mit, aus den Archiven werden Klassiker geholt und ein neues Filmlogo markiert die Feierlichkeiten.
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