Milo Rau hat es schon vor den Festwochen geschafft: Er hat erfolgreich provoziert. Diese Vorgehensweise kennt man aus der Politik: Auch dort wird die Kultur den Provokateuren überlassen.
Die Populisten haben im Internet ihr Erfolgsrezept gefunden: Sie bewirtschaften die Empörung, wo sie sie nur finden können. Posting um Posting, Aussendung um Aussendung haut auf Triggerpunkte hin - ORF! Linke! Rechte! Ausländer! Reiche! Arme! -, und man schaut einfach, was dieses so plumpe wie ermüdende Stakkato für Zornstaub aufwirbelt. Irgendwas funktioniert immer, und nach und nach wird die Gesellschaft in eine Konflikterzählung hineingetrieben, aus der sie nicht mehr herausfindet. Die Belohnung für dieses destruktive Spiel gibt es an der Wahlurne.
Derartiger Erfolg ist natürlich ansteckend: Der Boulevard hüpft hier, hoch erfreut über die Onlinezugriffe, gerne mit. Ebenso die beständig weiter in die Extreme driftenden Online-Influencer, die die Köpfe der jungen wie alten Menschen verkleistern. Die Gesellschaft ist durchvergiftet.
Und nun wird auch die Kultur den Provokateuren überlassen.
Ein schwules Pärchen, am Gedenktag zum Kriegsende auf einem Plakat in Sichtweite zum Russendenkmal in Wien: Es ist, zeigen die Wiener Festwochen, leichter, aus dem klebrigsten Eck des Internets russische Trolle zu locken, als einen wertigen Beitrag zur Debatte um den neuen russischen Faschismus zu liefern. Dass sich von diesem Foto, das man als halbwegs aufgeklärter Mensch natürlich emotionslos durchwinkt, an diesem Ort an diesem Tag die Einpeitscher und die Eingepeitschten emotionalisieren lassen, das ist ebenso klar wie an sich wertlos. Empörungsbereite, nein: aktiv Empörungsvorlagen Suchende zu empören, ist keine Kunst.
Umso missmutiger beobachtet man das freudige Anlaufen der Festwochen-Maschine, nachdem das Plakat heruntergerissen und verbrannt wurde: Man spürt förmlich das Platzen vor Selbstbegeisterung. Es hat die Provokation funktioniert, schnell, noch eine Aktion draufsetzen. Am nächsten Tag dann gibt man bekannt, dass bei der Festwochen-Mahnwache am Schwarzenbergplatz in Wien nichts passiert ist. Wenn jemals der Begriff gratismutig passte, dann hier: Was hätte denn da passieren sollen?
Natürlich findet man als Demokrat, dass derartige Plakate nicht abgerissen und verbrannt werden dürfen, alle kommen daher - mehr oder weniger reflektiert - in die Lage, brav nicken und das Geschehene ganz arg finden zu müssen. Und dennoch stößt das Berechnetsein des Ganzen übel auf. Milo Rau malt von der anderen Seite, das nach, was die FPÖ vorgezeichnet hat: Das Ausnützen von politischen Schmerzenspunkten am äußeren Rand für das eigene Vorankommen.
Das macht man auch ganz öffentlich, ebenso transparent wie die FPÖ. Etwa bei der Aktualisierung von Elfriede Jelineks Text „Burgtheater“, der am Donnerstag verlesen wurde und bei den Wiener Festwochen zur Aufführung kommen wird. Auch dabei „setzen Rau und das Ensemble auf Reizthemen“, hieß es jüngst in Die Welt: „Als neue Figuren gibt es jetzt woke Podcaster und den ,letzten echten Wiener', gespielt von einem ehemaligen Theaterpolizisten. Es wird um die neuen Kulturkriege, Hitler als Linksextremen, Antisemitismusdebatten nach dem Massaker vom 7. Oktober und vieles mehr gehen.“ Das ist populistisches Bewirtschaften von Triggerpunkten in Reinkultur, und damit der Mechanismus, mit dem kleingehauen wird, was die Gesellschaft zusammenhält, halt von der anderen Seite.
Die nächste Passage im Welt-Interview kann man in diesem Kontext kaum anders als mit einem feixenden Tonfall im Kopf lesen: „Das hat Potenzial zum Skandal“, sagt Rau. „Wir hauen richtig drauf.“
Draufhauen, das ist ein Kulturkonzept, das als ästhetisches Anliegen längst vorgestrig daherkommt: Nicht umsonst ist der Jelinek-Text 40 Jahre alt. Dass sich die Lage der Kultur inzwischen weitergedreht hat, dafür ist Rau situationsblind. Sie ist längst dort wichtiger, wo sie genau aus dieser Konflikterzählung ausbricht, wo sie common ground in einer bis zu den populistischen Sollbruchstellen durchpolarisierten Gesellschaft bietet. Wer auch die Kultur ohne Rücksicht in diese Konflikterzählung hineinzwingt, schadet nicht nur ihr.
Wie sehr, das zeigt sich im Parlament. Der Kulturausschuss dort wird von einem FPÖler geleitet, weil die Kultur den anderen Parteien nicht wichtig genug ist. Beim ersten Termin konnte Kulturminister Andreas Babler wegen der wohl für alle überraschenden Gedenkfeier zu 80 Jahre Kriegsende leider nicht dabei sein. Eine Verschiebung, so hieß es auf KURIER-Anfrage in seinem Büro, ließ die FPÖ nicht zu.
Die FPÖ bekam also auf dem Serviertablett erneut die Chance, ihre Triggerpunkte auf Kosten der Kultur zu bewirtschaften, diesmal die Behauptung, dass Volkskultur gegenüber der Hochkultur benachteiligt werde: „Einheitsparteien verweigern Blasmusikkapellen und Musikschulen die Absicherung“, hieß es nach der Sitzung in der Aussendung von Ausschussvorsitzendem Wendelin Mölzer (FPÖ).
Wie argumentiert man das? Zum Glück für die FPÖ gibt es die Wiener Festwochen. Der „Auftritt eines Ex-RAF-Terroristen und eines Ex-Mitglieds der Terrorgruppe ‚Bewegung 2. Juni‘ bei einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen der „Wiener Festwochen“ am 28. Mai 2025“ ist jenes Argument, das die FPÖ für ihr Geschäft braucht, zur Verfügung gestellt von den Festwochen: Man kann hier einen „Skandal“ dem gesunden Volksempfinden gegenüberstellen, ohne sich selbst anstrengen zu müssen.
Die Festwochen und die FPÖ gehen Hand in Hand, die Kultur wird den Provokateuren überlassen.
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