Westbam bei den Osterfestspielen: Tristan und Isolde gehen tanzen

Westbam baute u. a. Soundeffekte und eine Roland TR-808-Bass-Drum ein: „Das hätte Wagner sicherlich auch ganz gut gefunden“ 
Der deutsche Techno-DJ wusste bis vor eineinhalb Jahren (fast) nichts über Richard Wagner. Dennoch wagt er sich an dessen Werk

Am 6. April kommt es bei den Salzburger Osterfestspielen in der Felsenreitschule zu einer Premiere, der Wagnerianer  mit Sorgenfalten auf der Stirn entgegenblicken. Denn wie soll das, bitteschön,  klingen, wenn bei „Westbam meets Wagner“ unterkühlte Beats und fiebrige Synthesizersounds auf schwebende Streicherklänge treffen, also „Tristan und Isolde“ auf eine Techno-Party gehen?

Überraschend gefällig. Zumindest kommt man zu diesem Urteil, wenn man sich durch die ersten im Internet auffindbaren Soundschnipsel hört, die Westbam, der eigentlich Maximilian Lenz heißt, online gestellt hat. Der deutsche Produzent und DJ, der seit 40 Jahren hauptberuflich als Raver unterwegs ist, wurde vor eineinhalb Jahren von den Osterfestspielen gefragt, ob er sich dem epochalen Werk von Richard Wagner annehmen kann. Noch am selben Abend hat er gedacht: „Das kann nicht klappen“. Einerseits.

Aber andererseits „war ich von dieser Idee, dieser Herausforderung sofort begeistert. Ich habe mich dann an meine Punk-Zeiten Ende der 1970er-Jahre zurückerinnert. Damals sind wir nämlich in den Proberaum gegangen, obwohl keiner von uns wusste, wie man ein Instrument richtig stimmt. Aber das war uns egal, wir haben einfach gespielt. So habe ich das nun auch mit Wagner gemacht.“ 

Das erste Werk, das er auf iTunes fand, war das Vorspiel zu „Rheingold“: „Dieser tolle Es-Dur-Akkord, der sich dabei so mächtig aufbaut, hat mich sofort gefesselt. Ich habe dann angefangen herumzuspielen, Soundeffekte und eine Roland TR-808-Bass-Drum eingebaut. Das hätte Wagner sicherlich auch ganz gut gefunden“, sagt der 
58-Jährige, der  in Berlin und auf Mallorca lebt.

Mit seiner Version des „Rheingold“-Vorspiels wird das Konzert auch eröffnet werden. Zu den Beats serviert Westbam Vocals aus der Konserve. So hört man etwa die Stimme des Schauspielers Ben Becker. „Ich habe einen Haufen Vocals auf der Festplatte herumliegen, Aufnahmen, die ich im Lauf der Jahre mit ganz unterschiedlichen Künstlern gemacht habe.“

Im Saal – hinter Reglern und Knöpfen – wird Westbam das Tempo für das rund 
20-köpfige Ensemble, das sich aus Mitgliedern der Mendelssohn-Orchesterakademie des Gewandhausorchesters zusammensetzt, vorgeben. Das Dirigat übernimmt Oscar Jockel, der den Abend mit Westbam erarbeitet hat.  
Unter dem Titel „Night of Love“, abgeleitet aus „Tristan und Isolde“ („O sink hernieder, Nacht der Liebe“), werden also durchaus Genregrenzen gesprengt: Es treffen völlig verschiedene Ideologien und Welten aufeinander.

„Hip-Hop, Disco, House“

Oder, wie es Westbam formuliert: „Für mich klingt die Musik von Wagner so, als würde sie von einem anderen Planeten stammen. Ich wusste bis vor eineinhalb Jahren nichts oder nur ganz wenig über das Werk von Wagner. Meine Eltern, vor allem mein Vater, haben zwar Klassik gehört, aber dafür habe ich mich nicht interessiert. Ich bin mit der Neuen Deutschen Welle und der deutschen Subkultur der 70er- und 80er-Jahre aufgewachsen. Ich habe dazu schwarze Musik – Hip-Hop, Disco und House – gehört. In einer Opern-Aufführung war ich hingegen nie. Ich war auch noch nie bei den Bayreuther Festspielen. Aber ich habe gehört, dass die Stühle dort besonders hart sein sollen. So nach dem Motto: Wer das erleben will, muss auch leiden“, sagt er lachend.

Westbam

Bei so wenig Klassik-Wissen musste sich Westbam natürlich sehr intensiv mit Wagner auseinandersetzen. „Was ich zu hören bekam, waren große Klanggewitter, düstere Akkorde. Wagner machte Filmmusik, bevor es überhaupt Film gab. Die dunkle Power in seinen Kompositionen hat mir besonders zugesagt, weil mich diese auch bei Techno und Elektro stets angezogen hat. Wagner steht für mich für krasse, übermäßige, ungeheuer machtvolle, eher – von meinem Gefühl her – düstere Klänge.“

Umgekehrt musste sich der 1995 in Regensburg geborene Dirigent und Komponist Oscar Jockel  erst einmal mit der elektronischen Musik anfreunden. „Er ist komplett unbeleckt, was Techno und Popmusik betrifft. Er hat zwar schon einmal etwas von den Alben ‚Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band‘ und ‚Dark Side Of The Moon‘ gehört, aber mehr nicht“, sagt Westbam. „Diese Wissenslücke hat mich total verblüfft.“

Für ihn ist die Unvoreingenommenheit der zentrale Schlüssel zum Erfolg des Projekts. Denn es brauche den nötigen Abstand zu Wagners Werk. „Ich hatte da keine Berührungsängste, bin nicht in Stockstarre gefallen. Man muss den Respekt beiseiteschieben, um Veränderungen am Werk durchführen zu können“, sagt Westbam.

„Brünnhilde Chillout“

Sieht er sich eigentlich als Provokateur, als Anti-Wagnerianer? „Auf keinen Fall. Ich versuche nicht, seine Musik kaputtzumachen oder Wagner gerecht zu werden. Das geht auch gar nicht. Ich möchte das Publikum auch nicht verstören. Diesen Zugang habe ich nicht. Viel mehr möchte ich mit meiner Musik anderen immer auch eine Freude machen, gute Laune verbreiten. Ich bin DJ. Es ist mein Wunsch, Menschen zu begeistern, und nicht, dass einige Personen während des Konzertes durchbuhen, so wie das bei Wagner-Inszenierungen in Bayreuth durchaus der Fall sein kann“, sagt Westbam.

Ob das Konzert und die vorliegenden Nummern mit Arbeitstiteln wie „Brünnhilde Chillout“ dem großen Wagner gefallen hätten, könne er jetzt nicht beurteilen. „Aber es gibt doch diese berühmte Aussage von ihm: ‚Kinder, schafft Neues!‘ Und genau das haben wir gemacht!“

Kommentare