Es beginnt mit einem witzigen Ballett der Leinenführigkeitsproblemstellungen: Unsichtbare Hunde ziehen (schlimm!) an ihren Leinen, die Tänzerinnen und Tänzer werden über die Bühne der Volksoper geschleift. Manch Hundebesitzer wird hier mitfühlend lächeln.
Ab dann aber verwischen sich bei „Nurejews Hund“ die Grenzen zwischen Hund und Herrl: Das Familienstück nach einer Novelle von Elke Heidenreich, das am Sonntag zur Uraufführung gekommen ist, blickt - mit Musik, Tanz und Gesang - ins Seelenleben eines Hundes, und damit auch der Menschen.
Es erzählt, durchaus melancholisch, eine Geschichte der Treue, auch des Sterbens - und der Sehnsucht des Menschen danach, zu schweben. Was natürlich schwierig ist, denn allein schon das Gehen auf zwei Beinen kann ja wohl nur ein Irrtum gewesen sein, wie der Hund völlig richtig feststellt, es ist viel zu instabil. Wer sollte da überhaupt noch ans Tanzen denken?
Die Ausgangslage legt Rührungspotenzial nahe: Heidenreich widmete ihre Novelle dem (echten) Hund von Rudolf Nurejew, eines der größten Ballettstars der Geschichte. Der Hund beginnt nach dem Tod seines Herrchens aus Sehnsucht nach dem einzigen wahren Menschen, den es in jedem Hundeleben gibt, zu tanzen. Auch wenn er eigentlich zuvor zu gut gefüttert worden war, als dass er auf den Pfotenspitzen Pirouetten drehen könnte.
Aus dieser Story nun haben Peter te Nuyl (Buch), Florian Hurler (Choreografie) und Keren Kagarlitsky (musikalische Leitung) ein Stück für die Bühne erstellt. Florian Carove führt als Hund Solor erzählend durch die Geschichte: Er schreit, wenn er bellt, markiert hin und wieder das Klavier im Ballettstudio und freut sich, als ihn Nurejew (Sebastian Wendelin) aufnimmt, nachdem er auf einer Party von Truman Capote vergessen worden war.
Auf der Bühnen nun geht es um die beinharte Welt des Balletts, um höchste Kunst und das, was sie mit den Menschen macht. Das Volksopernorchester spielt dazu Musik von Gershwin („Walking the Dog“), Offenbach, Berlioz, Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts zeigen den jungen Menschen im Publikum, wie schön Ballett sein kann.
Es geht um Schönheit, um Verlorenes (Nurejew sehnt sich nach seiner Mutter, die er in der Sowjetunion zurückgelassen hatte) und das Leben: Er solle nie aufhören zu suchen, gibt Nurejew dem Hund mit.
Und es geht inmitten einer bilderbuchartigen Bühne (Christof Hetzer) um Freundschaft - und auch den Wert, den jeder einzelne hat: Solor kommt nach dem Tod zur fiesen Ballettmeisterin Marika (Ursula Pfitzner), die ihn eigentlich nicht will. Bevor sie ihn ins Heim steckt, sieht sie aber eines Nachts, wie Solor aus Sehnsucht nach Nurejew tanzt - und beschließt, ihn doch zu behalten. Ein eigentlich auch ziemlich trauriges Bild vom Künstler und seinem Publikum.
Die Story wird in eineinhalb Stunden flott erzählt, gelungene Pointen lockern die doch durchaus nachdenkliche Stimmung auf (den begleitenden Kindern hat es insgesamt sehr gut gefallen). Manchem Kind - das Stück ist empfohlen ab 9 Jahren - könnte vorab vielleicht ein wenig Kontext zu Russland und zum Sterben gut tun, manch Erwachsenem dazu, dass in der Ballettwelt halt nicht alle brav hetero sind.
Am Schluss dann anhaltender Applaus - und am Heimweg kann man sich darüber unterhalten, wer wohl dieses Mädchen (Elli Theml) war, das Solor immer sehen kann, das die Menschen jedoch nur erblicken können, wenn es um den Tod geht.
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