Integrationsdebatte im ORF: 27 Sekunden ohne Parteipolitik

Johann Gudenus (FPÖ) und Max Lercher (SPÖ) bei "Im Zentrum"
Das Buch "Kulturkampf im Klassenzimmer" ließ FPÖ und SPÖ aneinander geraten. Dabei wollte Autorin Wiesinger genau das nicht.

(*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*)

 Muslimische Schüler mit streng konservativem bis fundamentalistischem Gedankengut versuchen Unterrichtsinhalte zu beeinflussen und als selbsternannte "Kleidungspolizei" Mädchen muslimischen Glaubens unter Druck zu setzen. Das Bildungsniveau in Österreich leide darunter, schreibt NMS-Lehrerin Susanne Wiesinger in ihrem Buch "Kulturkampf im Klassenzimmer". Es wurde in der vergangenen Woche in sämtlichen Medien besprochen. Vom kernigen Niki-Glattauer-Interview im KURIER bis zur plumpen Meinungsmache in Wutmedien der Marke unzensuriert war alles dabei.

Im ORF diskutierte die streitbare Lehrerin am Sonntag auch vor großem Fernsehpublikum über das Buch. Zu Gast waren ausgerechnet Max Lercher, Bundesgeschäftsführer der SPÖ, und der geschäftsführende Klubchef der FPÖ, Johann . Zwei Politiker also, die nicht gerade den Ruf genießen, ihre Zunft mit größtmöglicher Diplomatie zu betreiben.

Politiker-Ping-Pong

Nach einem ersten Schlagabtausch der beiden Politiker sagte Autorin Wiesinger, ehemalige Personalvertreterin der roten Lehrergewerkschaft, dann etwas Bemerkenswertes: "Ich möchte, dass konstruktiv miteinander gesprochen wird.“ Sie habe es satt, dass sich die Parteienvertreter hier schon wieder gegenseitig Versagen und Populismus vorwerfen würden. Sie wolle, dass die Parteipolitik einmal außen vor gelassen werde. Könne man sich da nicht "einmal einen Ruck geben"?

Bei Minute 17:03 hat Wiesinger diesen Appell beendet.

Lercher drückte umgehend seinen "guten Willen" aus. Wenn "der Herr Gudenus" dazu bereit sei, dann könne man ja die Integrationspapiere gegenseitig abgleichen. Das klang ein bisschen nach der Wahl der Waffen vor einem Duell.

Herr Gudenus wiederum sagte: "Gerne", wies aber umgehend süffisant darauf hin, dass die SPÖ schon 1997 ein Papier mit dem Titel „Integration vor Neuzuzug“ herausgegeben habe.

Da sind wir bei Minute 17:30.

Wir können also festhalten, dass 27 Sekunden Integrationsdebatte ohne Parteipolitik geführt wurden. Immerhin. Danach konnten die beiden Kontrahenten ihren Beißreflex aber nicht mehr im Zaum halten. Das ist auch keine große Überraschung, wenn die Parteien nicht etwa ihre Regierungsverantwortlichen (Ministerin Karin Kneissl) oder ihre Integrationssprecher ausschicken, sondern jene Politiker, deren Job es ist, ihre eigene Partei zu bewerben und zu verteidigen.

Das führte dazu, dass Lercher immer wieder die „Praxistauglichkeit“ des neuen SPÖ-Integrationspapiers vor sich hertrug, selbst dann, wenn er gar nicht am Wort war.

Dann warf Herr Lercher dem Herrn Gudenus "Hetze" vor.

Gudenus: "Das einzige Wort, das sie beherrschen, ist ‚Hetze‘. Hetze ist kein Argument.“

Das sagt der Vertreter einer Partei, die sich am selben Tag über die "Hetzjagden" auf freiheitliche Richterkandidaten sowie auf die Kassenreform der Regierung beschwert hat.

 

Integrationsdebatte im ORF: 27 Sekunden ohne Parteipolitik

"Ich bin schon auch als Politiker hier"

Als Moderatorin Claudia Reiterer von dem Politiker-Ping-Pong die Nase voll hatte, sagte sie zu Gudenus: "Sie haben offenbar nicht auf Frau Wiesinger gehört."

Gudenus: "Ich bin schon auch als Politiker hier."

Damit hat Gudenus das Problem erschöpfend beschrieben.

Aber er war offenbar nicht bereit, es zu beheben. Der blaue Klubchef kramte plötzlich auf Kommastellen genaue Prozentzahlen jener Koran-Textstellen hervor, in denen die Frau dem Mann gleichgestellt werde, beziehungsweise ein niedrigerer oder höherer Status signalisiert werde.

Ober-Islamreligionslehrer Ramazan Demir wollte wissen, wo die Zahlen herkommen. Gudenus sagte, er könne das "nach der Sendung" zur Verfügung stellen. Was Demir amüsierte. Dass sich Gudenus hier auf eine Jahrhunderte alte Religionsschrift bezog, und dass auch die Bibel nicht sonderlich zimperlich ist, fiel unter den Tisch.

Wenn der Ali die Fatima in die Schule begleitet

Wohltuend war, dass auch vernünftige Stimmen zu hören waren, hier vor allem die der Journalistin Melisa Erkurt, die für das Multikulti-Magazin Biber durch die vielzitierten Brennpunktschulen getourt ist.

Anhand der Debatte um das von fast allen Parteien unterstützte Kopftuchverbot an Kindergärten und Volksschulen (oder bis zum Ende der Pflichtschule) erklärte Erkurt anhand eines fiktiven Beispiels sehr schön die Problematik einer "Verbotskultur": "Dann wird der kleine Ali die Fatima in die Schule begleiten und sagen: ‚Jetzt musst du das Kopftuch runter geben, aber wenn du wieder rausgehst, schaue ich, ob du es auf hast‘. Und der Philipp wird der kleinen Fatima in der Schule das Kopftuch herunterreißen und sagen: ‚Das ist in Österreich verboten.‘ Und was passiert dann mit der Fatima? Wer hat ihr geholfen?"

Ebenfalls zu bedenken wäre folgender Einwand Erkurts, den auch Demir äußerte: Weniger der Islam an sich sei das Problem, sondern der soziale Status dieser Kinder und Jugendlichen, die in den Brennpunktschulen zu einem großen Prozentsatz aus bildungsfernen Schichten kommen würden.

"Diskurs ist kein Missbrauch"

Auch sie sprach das Phänomen "Hetze" an, aber in verträglicherem Ton. Wenn in der ganzen Stadt „Daham statt Islam“ plakatiert sei, dann würden sich diese Heranwachsenden noch zusätzlich in ihre eigene Welt zurückziehen.

Demir unterstrich diese Kritik mit dem Vorwurf an die FPÖ, Wiesingers Buch und die darin geschilderte Situation unter anderem auf Facebook missbraucht zu haben.

Gudenus antwortete kurz: "Diskurs ist kein Missbrauch."

An diesem Abend haben die geladenen Politiker eher Missbrauch als Diskurs betrieben. Vielleicht ein Anlass dafür, einmal wirklich zu versuchen, Politikerdebatten und Expertenrunden voneinander zu trennen.

LINK: "Im Zentrum" zum Nachschauen in der TVThek des ORF

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