"Totale Installationen": Konzeptkünstler Ilya Kabakov starb 90-jährig

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Die internationale Karriere des in der Ukraine geborenen Künstlers begann in den späten 1980er-Jahren in Graz.

Der aus der Sowjetunion gebürtige und in die USA ausgewanderte Grafiker, Maler und Konzeptkünstler Ilya Kabakov starb am Samstag im 90. Lebensjahr. In der Ukraine geboren, galt Kabakov seit den Siebzigern in Moskau als führender Vertreter der nichtoffiziellen Sowjetkunst. Mit „totalen Installationen“ über Utopisches avancierte er nach der Emigration Ende der Achtziger auch zum internationalen Kunststar.

1933 in einfachen Verhältnissen im damaligen Dnepropetrowsk, heute Dnipro, im östlichen Teil der ukrainischen Sowjetrepublik geboren, bedeutete der Überfall von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion im Jahr 1941 einen drastischen Einschnitt im Leben des kleinen Ilya: Während viele Verwandten im Holocaust starben, wurde er rechtzeitig mit seinen jüdischstämmigen Eltern in das usbekische Samarkand im Osten der Sowjetunion evakuiert. Dort wurde der künstlerisch begabte Bub 1943 in ebenso evakuierte Leningrader Kunstschule aufgenommen. 1945 wechselte er in eine Kunstschule in Moskau, wo er zwischen 1951 und 1957 Grafik am renommierten Surikow-Institut studierte.

 

Parallel zu einer erfolgreichen Karriere als feinsinniger Illustrator sowjetischer Kinderbücher begann der Künstler auch für sich selbst zu malen. Nach anfänglicher Landschaftsmalerei, die an sowjetische Avantgardisten wie Robert Falk erinnerte, entstanden zunehmend konzeptuelle Gemälde und Grafiken mit ironischen Kommentaren zum sowjetischen Alltag. An offizielle Präsentationen dieser Arbeiten war im autoritären Sowjetstaat lange Zeit kaum zu denken. Als Hauptvertreter des von ihm mitgeprägten „Moskauer Konzeptualismus“ avancierte der Künstler dennoch zum Star des sowjetischen Undergrounds, dessen Vertreterinnen und Vertreter sich regelmäßig in seinem Atelier im Zentrum von Moskau trafen. Auch relevante internationale Beobachterinnen und Beobachter der sowjetischen Kunstszene wurden derart auf ihn aufmerksam.

Als sich in den späten Neunzehnachtzigerjahren unter KPdSU-Generalsektretär Michail Gorbatschow das kultur- und außenpolitische Klima zu verändern begann, ergaben sich neue Chancen für den reifen Künstler. Insbesondere war plötzlich auch eine internationale Karriere möglich. Hier spielte Österreich eine zentrale Rolle: 1987 hatte ihn der damalige Leiter des Grazer Kunstvereins, Peter Pakesch, für einen mehrmonatigen Aufenthalt nach Graz eingeladen. Kabakov erhielt zu seiner Überraschung das nötige Ausreisevisum. Einen in der offizielle Hierarchie absolut unbekannten und noch dazu schlecht beleumundeten Künstler ohne Delegation allein in das Ausland reisen zu lassen, sei damals ein sensationeller Fall gewesen, erzählte Kabakov im Jahr 2000 in einem Interview. „Alles sah sehr mysteriös aus und hing mit zwei Personen zusammen: Gorbatschow, der die Perestrojka gemacht hat, und Peter, dem alles leicht von der Hand geht“, sagte er.

Nachdem im März 1988 die erste Auslandsausstellung des Künstlers in seiner Anwesenheit in der Grazer Oper eröffnet worden war, kehrte er selbst nicht mehr in die Sowjetunion zurück. Alsbald übersiedelte er nach New York und trat mit seiner dritten Gattin Emilia fortan in Co-Autorenschaft auf. Im Exil reüssierte er insbesondere mit „totalen Installationen“, mit denen bereits in den Achtzigerjahren in seinem Moskauer Atelier zu experimentieren begonnen hatte.

 

Neue Möglichkeiten sorgten für neue Maßstäbe: Waren zunächst nur Installationen in Raumgröße konzipiert worden, etwa „Ein Mensch, der in das Weltall direkt aus seiner Wohnung flog“ (1982-1986), realisierten Ilya und Emila Kabakov später teils riesige Projekte. In der Zeche Zollverein im deutschen Essen ist etwa seit 2001 die gigantomanische Dauerinstallation „Palast der Projekte“ mit 61 fiktiven Sowjetutopien zu sehen. Zahllose Ausstellungen in führenden internationalen Kunstinstitutionen führten dazu, dass Ilya und Emila Kababov in wichtigen Ratings auftauchten und sie wahrscheinlich die einzigen aus der Sowjetunion gebürtigen Künstler ihrer Generation sind, die in jeder großen internationalen Kunstgeschichte Erwähnung finden werden.

Obwohl Kabakov 1993 den russischen Pavillon bei der Biennale von Venedig bespielen konnte, blieb seine Beziehung zum neuen Russland indes lange Zeit schwierig und wurde ihm eine gebührende Anerkennung verweigert.

Erst mit Unterstützung russischer Oligarchen kehrte er 2004 mit einer großen Personale in seine Heimat zurück - er präsentierte damals die große Personale „Ein Vorfall im Museum und andere Installationen“ in der Eremitage in St. Petersburg. 2018 zeigten nach der Londoner Tate Gallery die Eremitage und Tretjakow-Galerie in Moskau schließlich die Personale „In die Zukunft werden nicht alle mitgenommen“. Der gesundheitlich bereits angeschlagene Künstler reiste damals nicht mehr nach St. Petersburg und Moskau, zur Eröffnung sprach seine Gattin und Co-Autorin Emilia.

Gegen den Krieg

Emilia Kabakov verurteilte 2022 im Namen beider auch den Krieg Russlands gegen die Ukraine, der sich insbesondere auch an für Kabakov wichtigen Orten abspielte. Im Hafenstädtchen Berdjansk, das im vergangenen Jahr von russischen Truppen besetzt wurde, hatte etwa Kabakovs Mutter bis zu ihrem Tod in den späten Neunzehnachtzigerjahren gelebt. Gleichzeitig wollten weder Ilya noch seine ebenso aus Dnepropetrowsk gebürtige Gattin als ukrainische Künstler bezeichnet werden. „Wir sehen uns als internationale Künstler, die in der Sowjetunion zur Welt gekommen sind, und in den USA leben“, sagte Emilia Kabakov im Sommer 2022 dem Fachmedium „The Art Newspaper“.

Das Verhältnis der Kabakovs zum offiziellen Russland verfinsterte sich gleichzeitig: In Moskau gab es 2022 sogar Indizien, dass sich das Künstlerpaar auf einer schwarzen Liste befindet. Denn Probleme einer Sammlungsausstellung der Tretjakow-Galerie mit Geheimdienstzensoren wurden laut APA-Informationen im vergangenen Jahr insbesondere auch mit Kabakov-Kunstwerken in Verbindung gebracht.

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