"Aber hier leben, nein danke!"
Das Trio, bestehend aus Sänger und Gitarrist Dirk von Lowtzow, Bassist Jan Müller und dem Schlagzeuger Arne Zank, hat sich vor mehr 30 Jahren in Hamburg kennengelernt - nicht beim Shoppen in der Humana-Boutique, sondern im Kulturzentrum. Im Wiener Konzerthaus lieferte die Band, die seit 2004 von Gitarrist Rick McPhail verstärkt wird, dann eine Rückschau auf ihrer Karriere, auf die 13 bislang veröffentlichen Alben.
Den Startschuss machte "Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit", bei dem die Band noch ein bisschen verhalten agierte, der Sound noch nicht gut abgemischt war. Es sollte aber bald besser, also noch besser werden. Mit dem Song "Jugend ohne Gott gegen Faschismus" wurde das Publikum aufgefordert, das Wiener Konzerthaus in eine "agnostische, antifaschistische Indie-Disco zu verwandeln". Dazu wurde der Lautstärkenregler nach oben geschoben, damit die das in der FPÖ-Parteizentrale auch noch hören. Die war dann aber doch etwas zu weit weg. Egal. Wien sei auch so die schönste Stadt der Welt, sagt Dirk von Lowtzow. "Aber hier leben, nein danke!".
Großartig die Indie-Rock-Hymnen aus den 1990er-Jahren: "Jackpot meines Lebens", "Drüben auf dem Hügel" und "Let There Be Rock". Mit "Ich tauche auf" wurde dann ein Song aus dem aktuellen Album "Nie wieder Krieg" präsentiert. Dazu tauchte auch tatsächlich Anja Plaschg alias Soap&Skin auf der Bühne auf und sang mit Dirk von Lowtzow das traurig schöne wie schön traurige Duett. Am Ende lagen sich beide in den Armen. Mit dem live sehr fein ausgearbeiteten "Ich habe Stimmen gehört" verabschiedeten sich Tocotronic zum ersten Mal von der Bühne. Im ersten von insgesamt drei Zugabe-Blöcken gab es "This Boy Is Tocotronic", "Hi Freaks" und "Neues vom Trickser".
Herzilein
Alles an diesem Auftritt stimmte. Es wurden Hände zu Herzen geformt und sich gegenseitig die Liebe bekundet. „Wir lieben euch!“, kommt Dirk von Lowtzow über die Lippen. Und vom Publikum wurde diese Liebe sofort erwidert. Dazu wurde dann passend "Eure Liebe tötet mich" geliefert.
Am Ende, also nach fast zwei Stunden Konzert, sind alle happy. Auch wenn die Haare grauer, die Falten immer mehr und die Sorgen nicht weniger werden, was zählt, ist die Richtung, die Einstellung, die Menschlichkeit, die Solidarität. Und dafür stehen Tocotronic seit 30 Jahren – kritisch, menschlich, intelligent und unbeirrt sympathisch: "Freundschaft!"
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