Zu dem Teil der Bevölkerung, der beim Hören von Strauss-Musik selbst Mordgelüste kriegt, gehört Brezina aber nicht, wie er im KURIER-Gespräch versichert: „Nein“, lacht er, „natürlich ist die Musik bei uns überstrapaziert. Aber ich finde in ihr ein Lebensgefühl und eine Lebenslust, die ich schätze“. Beim Schreiben hat er sich zwar nicht mit Strauss dauerberieselt, aber doch punktuell Musik gehört, die mit seinen Recherchen zu tun hatte. „Mich interessiert das Gefühl der Zeit und das Gefühl, das seine Musik damals ausgelöst hat. Mich haben an Strauss nicht so sehr die historischen Fakten interessiert als der Mensch“, sagt Brezina.
Unsicherer Mensch
Was ja gerade bei so klischeeverbrämten Komponistenfiguren eine gar nicht so einfache Frage ist: Wie war er denn als Mensch, der Herr Strauss? „Also wer glaubt, das war der perfekte Walzerkönig, dem kann ich nicht zustimmen“, sagt Brezina. „Das war eine perfekte Inszenierung. Sicher ist aber auch: Er hat eine wirklich unglaubliche Leidenschaft für das Komponieren gehabt, einen riesigen Schaffensdrang. Die ganze Familie war ein geniales Musikunternehmen – und er war, denke ich, ein sehr, sehr unsicherer Mensch. Er hat den Erfolg gesucht, vor allem als Zuspruch aus seiner näheren Umgebung. Das hat ihm sehr, sehr viel bedeutet.“
Der Erfolg war ja immenser, als man sich heute vor Augen führt – etwa bei seiner US-Tournee, oder? „Bei allem Respekt für Falco, aber ,Rock Me Amadeus‘ war nichts gegen das, was der Herr Strauss in Amerika ausgelöst hat“, sagt Brezina. „Es muss sich ja unglaublich abgespielt haben. Johann Strauss war ein Superstar. Die ,Fledermaus‘ ist zwei Jahre nach ihrer Uraufführung in Australien aufgeführt worden. Das muss man mal schaffen!“ Bei einer Lesereise in China – wo Brezina mit seinen Büchern selbst ein großer Star ist – habe er einmal CDs vom Neujahrskonzert als Gastgeschenk mitgebracht. „Mit keinem anderen Geschenk habe ich je solche Begeisterungsstürme ausgelöst. Strauss-Musik hat eine ganz spezielle Bedeutung. Es ist ganz anders als Beethoven oder Mozart.“
Der Blick von außen ist hier lohnend. Denn das, was in Österreich oft als Klischee abgetan wird – das Kulturland, das von der Vergangenheit lebt –, stellt sich von außen ganz anders dar, bestätigt Brezina.
„Wir sollten diese besondere Bedeutung mehr empfinden und uns auch der Begeisterung mehr bewusst sein, die Johann Strauss mit seiner Musik bis heute weltweit auslöst“, sagt er. Jenen, die dies als Klischee abtun und belächeln, widerspricht er. „Ich lebe in London – und weiß, was vieles von dem, das aus Österreich kommt, hier für eine Bedeutung hat.“
Eine andere Sisi
Dass er an allen verfestigten Österreich-Klischees vorbei Figuren freilegen kann, hat Brezina schon mit seinen „Sisi“-Krimis bewiesen. „Das konnte ich mir am Anfang selbst gar nicht vorstellen, da man ja nur irgendwie die süße Sisi kennt“, sagt er. „Aber dann habe ich mit Historikern gesprochen. Und dann war da plötzlich diese rebellische, gebildete Frau, wahnsinnig schön, irrsinnig egozentrisch.“
Bei Strauss nun habe er sich genau überlegen müssen, wie man „in diesen Menschen hineinzieht. Ich habe den Walzerkönig mal links liegen gelassen – und bin eingestiegen in diesem denkwürdigen Moment, als seine Frau stirbt, und wie er darauf reagiert. Das kennt man so nicht, wie aufgewühlt Strauss von diesem Tod ist, und dass er mit dem Tod und dem Alleinsein so überhaupt nicht umgehen kann“, schildert der Autor. „Wer läuft schon davon, wenn er seine Frau tot auffindet? Es geht mir nicht um die Sensation dahinter, sondern darum, dass das einen Menschen ausmacht. Strauss hat sich die Lebensfreude zum Teil selbst komponiert. Er hat sich mit seiner Musik etwas geschaffen, um die dunklen Wolken zu durchdringen.“
Uraufführung
Warum aber wird Strauss jetzt zur Krimifigur? „Roland Geyer (Chef des Strauss-Jubiläumsjahres, Anm.) ist an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob mich das interessieren würde.“ Für das Strauss-Jahr ist Brezina noch einmal tätig – nämlich bei der Uraufführung einer Strauss-Zirkus-Operette. Für „Cagliostro – Johann Strauss im Zirkuszelt“ (10. bis 28. September) im eigens aufgestellten Circus-Theater Roncalli hat Brezina, basierend auf Motiven der Operette „Cagliostro in Wien“, eine „Zirkusoperette für die ganze Familie verfasst“, wie es in der Ankündigung heißt. Der Herr Cagliostro war „eine historische Figur, ein perfekter Täuscher und Blender“, sagt Brezina. „Dessen Leben habe ich neu erzählt, als Mischung zwischen Geschichte und Zirkusnummer“, dazu gibt es Strauss-Arien und neue Musik (Arrangement: Johnny Bertl), die auf Strauss Rücksicht nimmt. „Es ist ein komplett neu geschaffenes Werk“, sagt Brezina.
Strauss-Erstaufführungen sind ja auch alljährlich Teil des Neujahrskonzerts. Geht er da hin, weil er ja derzeit so mit Strauss in Verbindung steht? „Nein“, sagt Brezina. „Ich habe keine Karten!“
Er war bis jetzt ein Mal zum Jahreswechsel im Musikverein, wenn auch bei dem Konzert am 31. 12., nicht am 1. Jänner, vor einem Vierteljahrhundert. Das war für ihn in einer schwierigen Zeit ein wichtiger Moment, schildert Brezina. Dieses Jahr ist der 1. 1. jedenfalls die beste Gelegenheit, mit Brezinas Roman quasi in Echtzeit anzufangen.
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