Schauspielerin Johanna Wokalek: "Wir bräuchten viel mehr Leben"

46-218047216
Die ehemalige Burgschauspielerin über die Gründe, warum sie einst Wien verließ – und warum sie jetzt im Volkstheater als Ensemblemitglied Begeisterung entfachen will.

In der Zeit von Klaus Bachler als Direktor (von 1999 bis 2009) war Johanna Wokalek einer der „rising stars“ des Burgtheaters: Die deutsche Schauspielerin, 1975 in Freiburg im Breisgau geboren, begeisterte mehrfach in den Inszenierungen von Andrea Breth, darunter als Käthchen von Heilbronn und Emilia Galotti. 

Wokalek blieb auch unter Matthias Hartmann, der 2014 ob einer desaströsen Finanzlage gefeuert wurde, im Ensemble. Aber 2015 verließ sie die Burg aus freien Stücken. Und kehrte zwischendurch, 2019, als Gast wieder – für „Die Ratten“ in der Inszenierung von Breth. Nun aber ist sie wieder fix zurück in Wien. Allerdings am Volkstheater. Um eine neue Perspektive auf die Stadt werfen zu können.

KURIER: Sie haben ab 1994 am Max Reinhardt Seminar studiert. Warum? Sie kommen ja aus dem Schwarzwald …

Johanna Wokalek: Ich war während der Schulzeit da, und mir hat Wien unglaublich gut gefallen. Ich dachte mir, es wäre toll, wenn ich hier studieren oder auch nur leben könnte. Das war der Grund, warum ich mich bewarb. Und es hat gleich geklappt.

1996 waren Sie die Haupt-Alma in der Uraufführung des Simultandramas „Alma – A Show Biz ans Ende“. Paulus Manker, der Regisseur, gilt daher als Ihr Entdecker. Oder war es doch Klaus Maria Brandauer?

Brandauer war mein Lehrer, und dann kam Manker ins Seminar, um ein Vorsprechen zu machen. Er suchte ein Ensemble für „Alma“, etliche aus meiner Klasse waren dann mit dabei. Wir haben ja generell keine andere Chance, als zu spielen – und hoffentlich gesehen zu werden.

War das gleich einmal eine harte Schule, weil Paulus Manker auch mit Ihnen geschrien hat?

Ja, wir hatten lautstarke Auseinandersetzungen. Er ist ein eigenwilliger Künstler, sag ich mal, und eine extreme Persönlichkeit. Das war wahrscheinlich eine Art Feuertaufe. Wenn man Paulus durchgestanden hatte, konnte einen eigentlich nichts mehr überraschen. Die Produktion wurde überraschend ein großer Erfolg. Aber ich bin ja nicht in Wien geblieben, sondern für drei Jahre nach Bonn gegangen.

46-218047257

Und dann kamen Sie wieder: Sie wirkten bei der „Alma“-Verfilmung mit und wurden Ensemblemitglied der Burg. Eine ganz besonders enge Arbeitsbeziehung haben Sie zu Andrea Breth aufgebaut.

Die hat sich ergeben: „Der jüngste Tag“, „Emilia Galotti“, „Don Carlos“, „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, „Motortown“, „Zwischenfälle“… Es gibt so glückhafte Verbindungen, wo man ein intuitives Verständnis füreinander oder eine gemeinsame Fantasie hat. Und das führt dazu, dass man einander immer wieder sucht. Aber es gab natürlich auch andere Arbeitsbeziehungen und daher neue Einflüsse.

Sie arbeiteten zum Beispiel mehrfach mit Luc Bondy. Wieso haben Sie Wien überhaupt verlassen?

Ich hatte 15 Jahre am Burgtheater. Aber dann kam das Gefühl, dass sich künstlerisch mehr bewegen muss. Auch wenn ich herrliche Rollen hatte. Ich glaube, es gibt in jedem Künstlerleben so Phasen, in denen man denkt, es ist kein Feuer mehr da. Und man kann nicht verlangen, dass es immer von anderen entfacht wird, es muss ja auch von einem selber immer wieder befeuert werden.

Das Burgtheater wird immer als der Gipfel angesehen: Kaum einer gibt ein festes Engagement auf.

Natürlich ist es ein großer Teil meiner Biografie und bleibt das auch. Aber ursprünglich war es doch so: Eine Gruppe Menschen verabredet sich, zieht mit dem Karren irgendwohin – und spielt dort. Dafür braucht es keinen Namen wie „Staatsoper“ oder „Comédie-Française“. Die Verabredung jedoch muss lebendig sein. Und wenn sie nicht mehr lebendig ist, dann bewege ich mich eben dorthin, wo ich Lebendigkeit finde. Dazu musste ich mal raus aus dem Betrieb. Und so hab’ ich mit den Pina-Bausch-Leuten in Wuppertal Tanztheater, an der Frankfurter Oper das Musiktheaterprojekt „Jeanne d’Arc au bûcher“ gemacht oder mit Krzysztof Warlikowski an der Opéra Garnier in Paris gearbeitet.

Haben Sie auch mit Ihrem Mann, dem Dirigenten Thomas Hengelbrock, Projekte realisiert?

Haben wir auch gemacht, zum Beispiel Henry Purcells Oper „Dido and Aeneas“ in der Felsenreitschule bei den Salzburger Festspielen 2015. Oder „Nachtwache“ mit Chorstücken und Gedichten aus der Romantik. Wir haben unendlich viele Ideen, sind immer im Austausch. Aber jeder hat sein Leben mit seinen Projekten. Wir bräuchten viel mehr Leben, um das alles umsetzen zu können.

Wie kam es dann zu Ihrem Engagement ans Volkstheater? Ist Jan Philipp Gloger, der neue Direktor, auf Sie zugekommen?

Ich war in der Volksoper, sah „Die Dubarry“ in seiner Regie und musste immer wieder herzlich lachen, ich entdeckte einen intelligenten Humor. Wir haben uns danach mehrfach ausgetauscht.

Wie hat er Ihnen Wien wieder schmackhaft gemacht?

Er selber ist der Grund. In den Gesprächen hat Gloger immer wieder betont, dass es Raum für verschiedene Theaterformen geben soll, Theater also in seiner Vielfältigkeit. Das fand ich verführerisch. Und jetzt bin ich erst mal neugierig. Wir sind nur 20 im Ensemble, und viele sind jünger als ich. Was kann ich von meinen Erfahrungen weitergeben?

Sie leben eigentlich in Paris, weil Ihr Mann das dortige Orchestre de Chambre leitet. Ist das andauernde Reisen nicht aufreibend?

Mit einem Dirigenten, einer Schauspielerin und einem Sohn ist das tatsächlich nicht so einfach, aber wir sind es gewohnt, dass jeder mal woanders arbeitet. Das ist einfach unser Leben – mit allen Vor- und Nachteilen. Mein Lebensmittelpunkt ist dort, wo ich arbeite, daher jetzt Wien, und hier habe noch immer meine Wohnung aus der Burgtheaterzeit. Aber ich werde natürlich auch immer wieder in Paris sein, wo mein Sohn zur Schule geht.

Gloger beginnt seine Direktion am 12. September mit einem Jura-Soyfer-Abend – und zwei Tage später folgt die Dramatisierung von Michael Hanekes „Caché“: Anne und George, ein gut situiertes Ehepaar in Paris, erhalten gespenstische Videokassetten … Wie kam es dazu?

Ich habe mehrere Arbeiten von Felicitas Brucker, der Regisseurin, gesehen. Auch sie lebt in Paris. Wir konnten uns also immer mal treffen. Wir waren neugierig aufeinander.

Und welche Rolle wird folgen?

Ein Grund, ans Volkstheater zu gehen, war, dass ich Wien neu entdecken möchte. Ich kenne die Stadt aus der Burgtheater-Perspektive. Und jetzt möchte ich ein anderes Wien entdecken. Ich gehe z. B. mit Gloger auf die Tour durch die Bezirke.

Eine Ochsentour?

Das glaube ich nicht. Es hängt ja immer davon ab, wie man der Welt und den Menschen begegnet. Wir kommen ja nicht gnädig mit unserem Theater in die Bezirke, sondern gehen dorthin, wo das Publikum lebt – in der Hoffnung, dass es zu einem Austausch kommt. Nein, es kommt garantiert zu tollen Erlebnissen! Ich war sofort Feuer und Flamme. Wir spielen „State of The Union. Eine Ehe in zehn Sitzungen“, eine Komödie von Nick Hornby. Ich denke, man kann sich darin wiederfinden – in allen Bezirken dieser Welt.

Die Premiere ist aber erst am 13. Februar 2026. Bis dahin kann man Sie nur in „Caché“ sehen?

Auch im Fernsehen, zum Beispiel in der Serie „Polizeiruf 110“ aus München. Die nächste Folge drehe ich mit Adrian Goiginger. Oder man sieht mich im Kino.

In welchem Film?

Zuletzt habe ich in drei Debütfilmen junger Regisseurinnen mitgewirkt. Einer heißt „Milch ins Feuer“: Ich spreche Alemannisch und bin umgeben von Laien. Wir erzählen eine nicht verklärende Geschichte vom harten Leben der Bauern. Und über die Position der Frauen, die auch in unserer Zeit nicht die Höfe erben. Das ist ein ganz toller Film geworden. Ich hoffe, er kommt auch in die österreichischen Kinos.

Kommentare