Dieses Detail ist nur eines von unzähligen, die auf eine Verwandtschaft hinweisen, die nun die Ausstellung „Experiment Expressionismus – Schiele meets Nosferatu“ in der Wiener Horten Collection trägt: Der Stummfilm war im frühen 20. Jahrhundert nicht nur das populäre Medium schlechthin, er hob auch extreme Ausdrucksformen – sprechende Hände, verzerrte Gesichter, ungewöhnliche Perspektiven auf Körper, Gebäude und Dinge – auf ein neues Podium. Und er interagierte dabei mit Malerei, Zeichnung, Tanz, Theater und dem Zeitgeist an sich.
Expressiv
All das ist Stoff für mehr als nur eine Ausstellung. Die Horten Collection versucht trotzdem, alles und noch mehr unter ein Dach zu bringen: Denn es gilt ja auch, die Sammlung, die den Kristallisationskern des Hauses bildet und kapitale Werke des deutschen Expressionismus (etwa von Max Pechstein, Erich Heckel, Alexej von Jawlensky) beinhaltet, herzuzeigen. Wobei diesmal mehr als bei früheren Ausstellungen des Hauses auch prominente Leihgaben (aus dem Belvedere, dem Leopold Museum, aus Privatsammlungen) zu sehen sind.
In den zwei oberen Etagen des Hauses ergibt sich daraus ein Dilemma: Der Reichtum an Werken begräbt die Erzählung. Und diese leidet wiederum daran, dass sie gleichzeitig in mehrere Richtungen geht – eine filmhistorische, eine kunsthistorische, eine zeitgeschichtliche.
Verzopft
Die Stränge sind in den Räumen zopfartig verschlungen, verbinden sich aber allzu oft nicht. Da ist einmal die Malerei, dicht aufgereiht: Das Porträt der Tilla Durieux von Max Oppenheimer hängt da. Oder Lilly Steiners wunderbares Bildnis der Lilian Gaertner (1927) mit weit aufgerissenen Augen und verkrampft angespannten Händen, für die man in der Fachliteratur das schöne Wort „Ausdrucksarabeske“ gefunden hat.
Hier lassen sich Verbindungslinien ziehen – zu Stummfilmen („Orlacs Hände“, 1924), den auf die Wand projizierten Exzerpten von „Nosferatu“ (1922) und zu Schieles dandyhaften Selbstinszenierungen, die im Geiste noch bis zu den Falco-Shows der 1980er nachwirkten.
Doch leider zieht die Schau solche Verbindungen – und die Möglichkeit, durch die offene Architektur Blickachsen zu schaffen – nicht konsequent durch. Warum etwa brauchte es eine Galerie expressionistischer Landschafts- und Aktbilder? Warum Kleinplastiken? Warum hängt Herbert Boeckls Selbstporträt hier? Was haben Helene Funkes Damenbildnisse neben Albin Egger-Lienz’ Bild von Soldaten zu suchen?
Übertönt
Die Kakofonie, die infolge der vielen gleichzeitig gezogenen Register aus der Expressionismus-Orgel ertönt, wird dadurch nicht besser, dass der Filmexperte Roland Fischer-Briand seine Beiträge in einer gänzlich anderen Tonalität in die Ausstellung setzt. Der Co-Kurator hebt zwei Werke des Filmexpressionismus besonders hervor – Fritz Langs „Metropolis“ (1925) und Robert Wienes „Cabinet des Dr. Caligari“, das 1920 einen regelrechten Hype auslöste, samt Guerrilla-Marketingkampagne („Du musst Caligari werden!“) und der Popularisierung auf „Caligari-Kirtagen“.
Angesichts Fischer-Briands detailbesessener Abhandlung des Themas im Katalog ist es fast schmerzhaft, in dem Ausstellungskabinett, das dem Film gewidmet ist, von einer Ansicht von „Kitzbühel im Schnee“ von Alfons Walde (1919) empfangen zu werden. Die gedrängten Häuser auf dem Bild schauen nämlich irgendwie der Filmarchitektur ähnlich – aber eben nur irgendwie.
Wer in eine so materialreiche und zugleich fremde Welt eintauchen will, möchte sich jedoch darauf verlassen, exakt die richtigen Exponate zu sehen. Die Horten-Schau überfrachtet dagegen mit einem Angebot, das zugleich zu reichhaltig und zu mager ist – und gleichermaßen zu tiefschürfend und zu flach.
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