Zunächst Idylle - und dann wird der Blick frei fürs Grauen

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Wiederaufnahme in der Wiener Staatsoper: Evgeny Titov überzeugt mit seiner „Iolanta“-Erfolgsproduktion.

Von: Susanne Zobl

Oft kommt es nicht vor, dass eine Produktion vom Opernpublikum ohne Einschränkung angenommen wird. Im Fall von Tschaikowskis „Iolanta“ an der Staatsoper war dies bei der Premiere im März der Fall. Zurecht, denn was man hier in knappen 105 Minuten zu sehen und zu hören bekommt, ist erstklassiges Musiktheater. Regisseur Evgeny Titov, der im Sommer bei den Salzburger Festspielen mit Eötvös’ Tschechow-Oper „Drei Schwestern“ einen weiteren Erfolg verbuchen konnte, versteht es, auf der Bühne Geschichten zu erzählen. Nicht genug damit, gelingt es ihm, ohne große Umdeutungen diese in Bezug zur heutigen Realität zu bringen.

Die Geschichte der blinden Prinzessin Iolanta zeigt er als eine Art Fantasy-Parabel. König René lässt seine Tochter in einem idyllischen Garten in seinem Palast von der Welt abschotten. Rufus Didwiszus hat dafür einen mit Blumen übersäten Miniatur-Venushügel geschaffen, der an Wagners „Tannhäuser“ erinnert. Dort wächst Iolanta wohlbehütet auf.

Botticellis „Venus“

Dass sie blind ist, darf sie nicht erfahren. Doch dann kommt der Ritter Vaudémont, verliebt sich in sie und klärt sie über ihren Zustand auf. Für ihn will sie sich heilen lassen. Ihr Blick öffnet sich zunächst für die Pracht ihrer engsten Umgebung. Erst am Ende greift Titov ein, lässt die Palastmauern einstürzen und gibt den Blick frei für das Grauen in der Welt. Pointiert ist jede einzelne Figur gestaltet. Iolanta präsentiert er zu Beginn wie Botticellis „Venus“; der maurische Arzt, der sie heilt, könnte einem Science-Fiction-Film entstiegen sein. König René lässt sich von Bodybuildern bewachen.

Die Besetzung wurde in den zentralen Rollen von der Premiere übernommen. Sonya Yoncheva ist eine betörende Iolanta. Sie intoniert expressiv mit Hingabe, geringe Schärfen ihres lyrischen Soprans gleicht sie mit feinsinniger Gestaltung aus. Boris Pinkhasovich trumpft mit seinem kraftvollen, lichten Bariton fulminant als Robert auf. Dmytro Popov wirkt als Vaudémont in manchen Passagen angestrengt. In den lyrischen Sequenzen überzeugt er mit schönen Phrasierungen.

Ivo Stanchev stößt als René an die Grenzen seines Baritons. Attila Mokus lässt als sympathischer Arzt Ibn-Hakia aufhorchen. Monika Bohinec bewährt sich als Marta. Daniel Jenz gefällt als Almerik. Simone Strazdas setzt sich mehr szenisch als vokal in Szene. Timur Zangiev agiert am Pult des gut disponierten Orchesters wie ein Analytiker, der Tschaikowskis Musik Passage für Passage untersuchen will. Viele Bravos.

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