Schauspieler Macaigne über neue Rolle: "Ich bin das deformierte Alter Ego"

Schauspieler Vincent Macaigne in „Jenseits der Zeit“, aktuell in den Kinos zu sehen
Im April 2020 war die Welt nicht mehr in Ordnung: Corona sorgte für hohe Fallzahlen und für jede Menge Angst und Schrecken. In vielen Ländern Europas fanden sich die Menschen plötzlich in einem Pandemie-Lockdown wieder. So auch Olivier Assayas. Der sonst so umtriebige Regisseur großartiger Filme wie „The Clouds of Sils Maria“ oder „Personal Shopper“ war wie alle Filmemacher und Kreativen zum Stillhalten gezwungen.
Assayas machte das Beste daraus und nützte die freie Zeit, um sich seiner eigenen Familiengeschichte zu stellen. Er schrieb ein Drehbuch, in dem sein Bruder und er im Elternhaus in der Provinz, in dem sie aufwuchsen, mit ihren alten (und neuen) Konflikten und Erinnerungen konfrontiert werden.
Den Film „Jenseits der Zeit“ drehte er im echten Elternhaus, dort, wo ihm niemand Pandemie-Vorschriften machen konnte. Zu seinem Alter Ego erkor Assayas Vincent Macaigne, einen der bekanntesten und wandelbarsten Schauspieler der französischen Kinolandschaft, der zuletzt in der Künstlerbiografie „Bonnard, Pierre et Marthe“ über den Maler Pierre Bonnard zu sehen war.
Ängste und Neurosen
„Ja, ich bin Oliviers Alter Ego, aber ein deformiertes“, witzelt Macaigne, der etwas Liebenswürdig-Teddyhaftes an sich hat und mit leiser, freundlicher Stimme spricht. „Olivier macht sich in diesem Film über sich selbst lustig, kultiviert seine Ängste und Neurosen. Warum hat er wohl mich ausgewählt, um sich über seine eigene Geschichte zu amüsieren? Er macht sich auch über seinen Bruder lustig, der Musikjournalist ist und ziemlich anders als er. Auch das alte Haus der Familie Assayas bleibt nicht verschont. Aber wer könnte sich nicht über sein altes Kinderzimmer lustig machen?“ Jedenfalls habe es ihm großen Spaß gemacht, in die Haut eines seiner beiden Lieblingsregisseure (neben Emmanuel Mouret, mit dem er auch schon mehrere Filme drehte) zu schlüpfen.
„Mit Olivier habe ich jetzt zum dritten Mal nach ,Zwischen den Zeilen‘ und der Serie ,Irma Vep‘ gearbeitet. Ich sehe es als große Ehre, seinen Gedanken eine Form zu geben und sie auf der Leinwand interpretieren zu dürfen. Dass er mir vertraut, empfinde ich als Akt der Zuneigung, ja der Zärtlichkeit. Er ist so menschlich und so nett. Er liebt die Begegnung mit anderen Menschen.“

Das Einzige, das Macaigne an Assayas nicht so toll findet, ist die Tatsache, dass er den Text für die Schauspieler ganz präzise vorgibt. „Er ist da ganz genau, gibt alles vor und lässt keinen Platz für Improvisation. Dabei liebe ich es zu improvisieren. Sich etwas vorstellen, kreativ sein, sich Dialoge ausdenken. Auch bei meinen eigenen Inszenierungen am Theater mag ich das, wenn die Schauspieler eigene Einfälle haben und sie einbringen. Aber nun ja, beides – der präzise vorgegebene Text und das Improvisieren – ist okay.“
Während Macaigne der breiten Öffentlichkeit als rastloser Star in Kinofilmen bekannt ist, ist er mindestens genauso umtriebig als Theaterregisseur. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet er an Theatern, derzeit am Théâtre de la Colline in Paris, und vermeidet es tunlichst, dort als Schauspieler zu agieren. „Ich kann mich nur auf ein Ding konzentrieren, wenn ich es gut machen will, und das ist in diesem Fall das Regieführen. Beides kann ich nicht so gut machen, wie ich es gerne hätte. Also entweder spiele ich oder ich führe Regie.“
Traumrolle Bösewicht
Zuletzt hat er mit seinem Team im La Colline eine neue Adaptation von Shakespeares „Richard III.“ erarbeitet. „Ich versuche immer, den Stücken einen Twist zu geben, etwas, das sie frischer und moderner macht. Ich habe nichts gegen konventionelles Theater, weil ich verstehe, dass das Publikum eher die klassischen Stücke und Inszenierungen mag. Aber ich finde es interessanter, wenn man einen neuen Blick auf ein Stück wirft“. Für Furore sorgte übrigens Macaignes Inszenierung von „Idiot!“ nach Dostojevski 2009 am Théâtre Chaillot.
Als Schauspieler ist der 46-Jährige abonniert auf die Rolle des liebenswerten und gutmütigen Naivlings, der äußerlich unscheinbar wirkt, aber doch irgendwie im Gedächtnis hängen bleibt. Als Bösewicht oder brutaler Actionheld ist er schwer vorstellbar. „Dabei würde ich so einen gerne einmal spielen. Den ganz Bösen, Fiesen, den man mir nicht zutraut. Vielleicht schaffe ich es einmal, so eine Rolle zu ergattern. Man wünscht sich ja immer das, was man nicht haben kann.“
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