Salzburger Festspiele: Stacheldraht und Klangmagie bei Peter Sellars

Frei nach Peter Handke ließe sich die zweite Opernpremiere der Salzburger Festspiele, „One Morning turns into an Eternity“, mit „die Stunde der intensivsten Empfindung“ überschreiben. Menschliche Abgründe, Seelenschmerzen überstrahlt von Trost und Hoffnung sind in knappen 70 Minuten in der Felsenreitschule dicht komprimiert zu erleben. Das mag auf einen ersten Blick kurz anmuten, aber diese Aufführung hat so viel Kraft, dass eine Pause nicht reichen würde, sich danach auf Weiteres einzulassen.
Peter Sellars hat für diesen außergewöhnlichen Opernabend Arnold Schönbergs „Erwartung“ mit „Der Abschied“ aus „Das Lied von der Erde“ von Gustav Mahler zu einem Stück Musiktheater mit Tiefsinn kombiniert. Mahler reflektiert darin sein eigenes Leiden, den Tod seiner Tochter, die Diagnose seiner Herzkrankheit und die antisemitischen Anfeindungen. Verbunden sind diese beiden in den Jahren 1909 und 1908 entstandenen Kompositionen mit den filigranen „Fünf Stücken für Orchester“ Anton Weberns.
Verstörender Blick
Mit seiner einzigartigen Ästhetik wirft der vielbeschäftigte amerikanische Regisseur einen verstörenden Blick auf das Leben und dessen Auslöschung. Salzburg ist in diesem Sommer bereits seine dritte Station nach Produktionen für das New Yorker Lincoln Center und für das Opernfestival in Aix-en-Provence. Trotz der vielen Aufgaben legt Sellars höchsten Wert auf Perfektion und setzt die Musik mit seinen exzellenten Partnern, den Wiener Philharmonikern, dem Dirigenten Esa-Pekka Salonnen und den beiden faszinierenden Sängerinnen Ausrine Stundyte und Fleur Barron Takt für Takt in Szene.
Schönbergs Monodrama „Erwartung“ hat er eine Geschichte hinzugefügt, die im Programmbuch nachzulesen ist, aber genug Spielraum für eigene Gedanken lässt. Eine Frau vermisst ihren Partner, von dem sie länger nichts gehört hat. Sie vermutet, dass er gar nicht mehr am Leben ist, denn beide sind sie Teil einer Widerstandsbewegung. Sie hat den Verdacht, dass ihn eine andere Frau an die Behörden ausgeliefert hat, wo er zu Tode gefoltert wurde. Sellars setzt das wie einen Krimi um. George Tsypin hat ihm dafür eine in Realität und Fantasiewelt geteilte Bühne geschaffen. Die Realität symbolisiert ein Stacheldrahtzaun, der einen Garten oder Park von der Außenwelt abgrenzt. Gigantische Stelen aus Silbermetall mit dunklen Verzierungen symbolisieren einen Wald. Bäumt sich Schönbergs Musik auf, rotieren diese. Das in allen Spektralfarben changierende Licht (James F. Ingalls) illustriert Marie Pappenheims Text. Vier Steine in verschiedenen Größen wirken wie eine mystische Ergänzung.
Die erste Szene könnte aus einem Mafia-Film stammen, zwei Männer bringen einer Frau einen großen schwarzen Sack. Sie vermutet darin ihren ermordeten Partner. Ausrine Stundyte vermittelt furios die Emotionen dieser Frau. Mit Verve schöpft sie das ungeheure Potenzial ihres Mezzosoprans in all seinen Facetten aus. Sellars zeigt den Übergang von Schönbergs Atonalität zu Mahler über Weberns Opus 10 mit einem hell leuchtenden Steg auf dem Bühnenboden an. Dort erscheint Fleur Barron zu Mahlers Lied „Der Abschied“. Die kurzfristige Einspringerin für Wiebke Lehmkuhl ist ein Ereignis. Barron hat ein einzigartiges Gespür für Mahler. Jede Silbe betont sie mit der fein ausgewogenen Dosis an Ausdruck, atemberaubend färbt sie ihre Stimme in den für Mahler typischen Klangfarben. Sie agiert wie eine Tänzerin, anmutig und verletzlich. Das „Ewig“ am Ende taucht sie virtuos in den Klang der fulminant musizierenden Wiener Philharmoniker.
Esa Pekka-Salonnen tariert das musikalische Gewebe feinst aus, hält die Spannung, von Schönberg bis zu Mahler. Dazwischen bringt er Weberns Musik zum Schweben. Besonders hervorzuheben ist Soloflötist Karl-Heinz Schütz.
Ovationen für diese denkwürdige Produktion.
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